Für die Doktorarbeit: Pastor Theodor Adam verlässt St. Georg - Von Andreas Schultz

Windrichtung: Kiel

Wer stützt hier wen? Mit Theodor Adam hat die St.-Georg-Kirche einen Pastor und Seelsorger zum Anlehnen. Die Gemeinde muss sich jedoch darauf einstellen, dass er im Januar Platz für einen Nachfolger macht.
 ©Andreas Schultz

Sottrum. Die Tanne, die im Schiff der evangelisch-lutherischen St.-Georg-Kirche steht, ist gewaltig. Mehr als zehn Mann waren damit beschäftigt, das Monstrum, das fast bis an die Decke reicht, in den Raum zu schaffen. Pastor Theodor Adam ist begeistert von alledem, vom gestifteten Grün, vom Teamwork, und irgendwie auch davon, dass die Kanzel jetzt zum Teil von ein paar Ästen verdeckt ist. „Wollen Sie den Baum mal sehen?“, fragt er, bevor er hastig die Tür aufschließt. Es ist Begeisterung wie diese, die in den vergangenen drei Jahren Kirchgänger ansteckte. Doch Adams Handschrift im Wirken der Gemeinde wird bald verblassen: Er lässt St. Georg hinter sich.

Am Sonntag, 20. Januar, 10 Uhr, ist Abschiedsgottesdienst in Sottrum, sein Vertretungsdienst in der Ahauser Kirchengemeinde endet am 28. Februar. Und dann zieht es den Jetzt-noch-Sottrumer nach Kiel. Als Lehrstuhlassistent und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der dortigen Uni will er arbeiten – als „Zubrot“ für das eigentliche Vorhaben: das Fertigstellen seiner Doktorarbeit. „Seit dem Vikariat trage ich das mit mir herum“, sagt Adam. Eigentlich hatte er geplant, die Dissertation mit dem Titel „Segnungsfeiern zur Begleitung von Transitionen“ während seiner Pastorenzeit fertigzustellen. Die 75-Prozent-Pfarrstelle schien ihm dafür perfekt geeignet, aber in den fast vergangenen drei Jahren Probezeit blieb dann doch keine Luft dafür.

„Ich habe bei der Gemeindearbeit Blut geleckt, aber der Entschluss steht fest“, so der Noch-Pastor. Die Sicherheit, dass die Entscheidung auch die richtige sei, holte er sich bei langem Nachdenken bei einer Woche Schweigekloster. „Vorher hatte ich auch schon mit dem Gedanken gespielt, die Doktorarbeit einfach aufzugeben“, gesteht Adam und fügt hinzu: „Aber es stehen Menschen dahinter.“

Gemeint ist der Personenkreis, den Adam als „queer community“ bezeichnet: Menschen verschiedener geschlechtlicher Identitäten und sexueller Orientierungen, die von der Heteronormativität abweichen; Homosexuelle, Intersexuelle, Transgender und weitere. „Es gibt kaum jemanden, der sich innerhalb der Kirche für diese Menschen engagiert. Für mich ist das letztlich das wichtigere Anliegen. Das Thema ist jetzt einfach dran“, so der Pastor.

Die Doktorarbeit, die sich mit der kirchlichen Begleitung der Geschlechterangleichung auseinandersetzt, geht in diese Richtung. Dass gerade die Stelle an der Uni frei wurde, kam gelegen. Adam spricht zunächst noch von Glück, aber „man kann wohl tatsächlich fast von Fügung sprechen. Wenn Gott eine Aufgabe zu vergeben hat, sorgt er auch dafür, dass die Umstände passen.“

Wer Adam nicht kennt, fragt eventuell nach Eva – vergeblich. Der Pastor lebt mit seinem Partner im Pfarrhaus. Er hat nie ein Geheimnis aus seiner Homosexualität gemacht und habe seine Offenheit auch nie bereut: Ihm schlug aus der Gemeinde nicht etwa Abneigung entgegen, sondern vor allem Neugierde. „Dabei ging es vor allem darum, wie wir uns organisieren“, erläutert Adam. So manchen Fragenden sei es dabei um die Anwendung klassischer Geschlechterrollen gegangen. Wer die Wäsche macht zum Beispiel (Die Antwort: „Jeder für sich. Wir haben da unterschiedliche Vorstellungen“, sagt Adam und lacht). „Toll, dass du da bist. Wir wollen dich verstehen“: So fasst der Pastor den Tenor und das entgegengebrachte Interesse an seinen Lebensumständen zusammen.

In etwa so sei die Gemeinde auch mit der geplanten Doktorarbeit umgegangen. „Es geht um Transsexualität. Da fragte ich mich schon: Ist das den Leuten zu krass? Wobei krass wohl nicht das richtige Wort ist. Jedenfalls war das Gegenteil der Fall. Viele sagen, sie seien froh, dass ich mich für diese Menschen in unserer Kirche einsetze. Es ist verblüffend, auf welche Offenheit ich damit treffe. Das Thema interessiert die Leute sehr.“ Entsprechend viel Verständnis erntet der Kirchenmann für die Motivation, die hinter seinem Weggang steht.

Eine Rückkehr ist eher unwahrscheinlich, vermutet Adam. Während der Arbeit in Kiel wird es neue Bewerber auf die freigewordene Pastorenstelle geben. „Und ich wünsche der Gemeinde, dass sie mit dieser neuen Person glücklich wird“, sagt er. Das nahende Ende der gemeinsamen Zeit rückt langsam näher. Ein lachendes und ein weinendes Auge habe der Pastor dabei. „Natürlich ist die Formulierung abgegriffen. Aber es ist halt etwas Wahres dran“, sagt Adam. Viele Beziehungen seien entstanden. Freudige Kindergesichter bei Einschulungsgottesdiensten, das Zusammensein beim Freitagstreff, die Tiefgang bietenden Diskurse des Bibelmarathons, das harmonische Zusammenwirken mit Pastorenkollege Dietmar Meyer: Adam blickt auf drei Jahre voller Erinnerungen zurück. „Dabei habe ich der Gemeinde wohl viel zugemutet“, sagt der scheidende Pastor und lacht. An eine Lieblingspredigt könne er sich nicht erinnern, aber an viele Momente, in denen er Kirchgänger mitnehmen konnte. Er genoss die Augenblicke, in denen deutlich wurde, dass es in seinen Zuhörern arbeitet, dass die Predigt wirkt. Dabei sorgte er auch gern für Event-Charakter in der Kirche. So denkt er zum Beispiel an eine Weihnachtspredigt zurück, in der er die Geschichte des Jesuskindes in die heutige Zeit transportierte: Die Babypuppe lag in einem Schlafsack, wie ihn viele Obdachlose haben, im Kirchenschiff auf dem Gang. „Man muss bedenken, dass die Situation im Stall wirklich dem Leben der untersten Schicht entsprach. Und es war spannend, zu sehen, wie bei vielen Zuhörern das Bedürfnis wuchs, das Kind bei seinen Eltern in die Krippe zu legen“, erinnert sich Adam. Unvergessen auch der Gottesdienst, zu dem er sein Segelboot ins Kirchenschiff mitbrachte. Der Wind wurde dabei zum Symbol für den Heiligen Geist. Der scheidende Pastor weiß schon jetzt, dass er Augenblicke wie diese und die Gemeinde vermissen wird. Aber der Wind treibt ihn nun woanders hin.

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