Die Walz startet in Clüversborstel: Mareike Bühler macht sich auf den Weg - Von Antje Holsten-Körner

Drei Jahre mit der Bannmeile

Mareike Bühlers Aufbruch zur Walz geht mit Tradition einher: das Vergraben zweier Flaschen zum Beispiel.
 © Antje Holsten-Körner

Clüversborstel. Mehr als drei Jahre ohne das eigene Handy auskommen? Das ist für die meisten jungen Menschen kaum vorstellbar. Auf diese und viele weitere Annehmlichkeiten verzichtet Mareike Bühler freiwillig, denn die 28-Jährige ist jetzt von Clüversborstel aus auf Wanderschaft gegangen. Die alte Tradition lebt: Derzeit sind rund 500 Handwerksgesellen im deutschsprachigen Raum „auf der Walz“. Unter ihnen beträgt der Frauenanteil zehn bis 15 Prozent.

Der Wunsch danach bestand bei Bühler schon am Anfang der Ausbildung zur Zimmerin bei Holzbau Cordes in Waffensen. In ihrer einjährigen Dänemark-Zeit lag das Vorhaben vorerst auf Eis: Während des dortigen Studiums zur Bauingenieurin, das mit einem Arbeitsvertrag einherging, ruhte der Traum, bevor er erneut erwachte. Sie nahm Kontakt zur Gesellenvereinigung FSB (Freier Begegnungsschacht) auf, wo auch Frauen auf Wanderschaft gehen dürfen. Bei den Treffen lernte sie Simon kennen, der inzwischen seit zwei Jahren und acht Monaten auf Reisen ist. Nachnamen werden übrigens während der Wanderschaft nicht genannt, sondern in seinem Beruf der Vorname um den Zusatz „Fremder Schmied im freien Begegnungsschacht“ ergänzt. „Voraussetzung dafür sind Schuldenfreiheit, man muss unverheiratet, kinderlos, mindestens 18 Jahre alt sein und eine Ausbildung in einem traditionellen Handwerksberuf haben“, erklärt der 26-Jährige. Er wird Bühler mindestens in den ersten drei Monaten zur Seite stehen.

Vor dem Start gab es noch eine große Losgehparty, bei der Verwandte, Freunde und Bekannte auch Simon kennenlernten. Mit dabei waren auch viele Handwerksgesellen, die ebenfalls „tippeln“. Der eigentliche Startschuss folgte zwei Tage später am Ortseingangsschild von Clüversborstel. Die erste Aufgabe bestand darin, ein 80 Zentimeter tiefes Loch auszuheben, um dort zwei Flaschen einzugraben, die nach der Rückkehr gehoben werden. Gar nicht so einfach, wenn man anfangs nur einen Löffel zur Verfügung hat. Außerdem hätte die Aspirantin – erst nach drei Monaten ist man vollwertiges Mitglied – sicherlich besseres Wetter verdient, als der nicht endet wollende Regen. Nachdem die 28-Jährige die Aufgabe mit Bravour gemeistert und sich von allen verabschiedet hatte, stieg sie über das gelbe Ortsschild, wo sie auf der anderen Seite ein Dutzend Handwerksgesellen auffingen. Mit nur fünf Euro in der Tasche und mehr als zehn Kilogramm Gepäck ging es anschließend auf Schusters Rappen los in Richtung Sottrum.
Neben persönlichen Sachen ist natürlich auch eine zweite Montur der traditionellen Kluft dabei. Diese besteht aus der Staude, einem weißen Hemd mit Stehkragen, Hose, Weste und Jackett mit Perlmuttknöpfen in den Farben des jeweiligen Gewerks. Auch nicht fehlen dürfen Melone, schwarze Schuhe und die graue Ehrbarkeit, ein gehäkeltes Band, welches an der Staude befestigt wird und als äußeres Zeichen zur Zugehörigkeit des FBS getragen wird. Als erstes musste die 28-Jährige, die 50 Kilometer große Bannmeile, die während er Wanderschaft rund um den Heimatort besteht, verlassen. „Geld für Transport und Unterkunft dürfen wir nicht ausgeben, trampen ist natürlich erlaubt“, erklärt Simon.
Bühler war einige Jahre Stammesleiterin der Zugvögel Clüversborstel. Als Pfadfinderin kennt sie es, nicht nur im Federbett, sondern auch mal im Zelt, in einer Scheune oder unter freiem Himmel zu schlafen. Geplant ist, dass beide Gesellen schon bald eine Arbeit in ihrem jeweiligen Handwerksberuf aufnehmen werden, denn diese sorgt nicht nur für eine gefüllte Reisekasse, sondern ausschließlich in dieser Zeit muss die Krankenversicherung nicht aus eigener Tasche bezahlt werden.
Die Eltern der Zimmerin, Erwin Jäckel und Katharina Bühler, vertrauen ihrer Tochter. „Sie finden es eine tolle Idee, sind aber sicherlich wehmütig“, meint Mareike Bühler, die sich riesig auf die Zeit freut und mit vollem Herzen dabei ist. Für die Zeit der Wanderschaft, die mindestens drei Jahre und einen Tag dauern wird, also länger als die Ausbildung, bildet die Gesellenvereinigung eine Ersatzfamilie. Mehrmals jährlich gibt es Treffen, bei denen Verabredungen getroffen werden. „Wir tragen uns die Termine in unser Wanderbuch ein. Diese müssen eingehalten werden, denn eine Absage über Telefon ist ja nicht möglich“, sagt Simon.
„Ich hoffe, meinen beruflichen und persönlichen Horizont zu erweitern sowie eine andere Sicht auf die Dinge zu bekommen“, erzählt Mareike Bühler. Sie nimmt die Herausforderung an, in einer Gesellschaft, in der alles zur Verfügung steht, bescheiden zu leben. Sie freue sich sehr, Deutschland auf diese Art zu entdecken und dabei viele schöne Orte kennenzulernen. Die Walz wird sich aber nur im ersten Jahr auf den deutschsprachigen Raum beschränken, denn auf jeden Fall möchte sie Skandinavien, Dänemark und Frankreich bereisen. Der Traum könnte sie sogar ab dem dritten Jahr ein ganzes Stück weiterführen: „Mein größter Wunsch ist es, Blockhäuser in Kanada zu bauen“, verrät Mareike, Fremde Zimmerin Aspirantin vom freien Begegnungsschacht.

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