Der Ahauser Immo Petersen verabschiedet sich aus Südafrika - Von Immo Petersen

Von „Mlungu“ zu Immo

Immo Petersen vermittelt zusammen mit anderen Deutschen des ASC-Programms bei der "Handballclinic" die Regeln.
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Ahausen/Port Elizabeth. Ein Jahr Freiwilligendienst in Südafrika ist für mich nun vorüber. Räumlich bin ich mittlerweile schon wieder sehr weit weg von all dem, was mich das vergangene Jahr über so beschäftigt hat – doch in Gedanken bin ich immer noch in Port Elizabeth und denke darüber nach, was ich alles von Südafrika und den Menschen, die ich dort kennengelernt habe, mitnehmen werde.

Viele dieser Begegnungen haben mit Sport zu tun, denn meine Arbeit bestand in Südafrika aus zwei Projekten: Vormittags waren mein Mitstreiter Eiko und ich als Sportlehrer an der Grundschule „Lamani Public Primary School“ in New Brighton, einem Township von Port Elizabeth an der Küste des Indischen Ozeans von Südafrika, aktiv. Nachmittags trainierten wir, ebenfalls in New Brighton, mit einer Erwachsenenhandballmannschaft namens P.E. Vikings.

Unsere Rolle war bei den P.E. Vikings nicht ganz klar festgelegt: Da die Mannschaft keinen richtigen Trainer besitzt, übernehmen einige der Spieler Verantwortung und leiten Übungen an. Eiko und ich waren zwei dieser Spieler und haben in regelmäßigen Abständen das Training geleitet. Da wir zu den jüngsten Mitgliedern der Mannschaft gehörten und Alter in der südafrikanischen Gesellschaft einen anderen Stellenwert hat als in Deutschland, haben allerdings in der Regel zwei andere Spieler die Trainerrolle übernommen und wir waren eher ein Ersatz, falls keiner dieser Spieler beim Training erschien. Eine andere, für uns also wesentlich entscheidendere Funktion war die des Materialwartes: Da außer uns nur eine weitere Spielerin mit dem Auto anreiste, waren wir dafür zuständig, dass die – zugegebenermaßen etwas übersichtlichen – Trainingsgegenstände (eine Balltasche mit Hütchen, einigen Bällen und Leibchen) bei jedem Training anwesend und nutzungsbereit waren. Eiko und mir fiel zudem eine weitere Rolle zu: Wir waren in gewisser Weise die Sponsoren des Teams, da wir viele Materialien, Ausflüge oder Verpflegung für gemeinsame Unternehmungen finanzierten.

Viele Spieler erschienen nur unregelmäßig zum Training und hatten dadurch nur wenig Kontakt zu uns. So konnten wir leider nicht alle Spieler näher kennenlernen und persönliche Bindungen aufbauen. Für viele Spieler wurden wir – zumindest haben wir es so empfunden – mehr als jugendliche Sponsoren für Materialien und Ausflüge angesehen, als dass wir als Mitspieler oder gar Freunde anerkannt wurden.

Auch die Sprachbarriere verstärkte für uns diesen Eindruck: Innerhalb der Mannschaft sprachen die Spieler größtenteils Xhosa (eine Amtssprache von Südafrika mit Klicklauten), was uns aus vielen Unterhaltungen ausschloss. Auch wenn wir versuchten, zumindest ein wenig Xhosa zu lernen, reichte es nicht aus, um bei den Gesprächen mitzureden. Nur finanzielle Dinge wurden dann auf Englisch geklärt.

Doch trotz einiger widriger Umstände mit den Vikings, haben wir auch Dinge gemeinsam erlebt, die mir sehr positiv in Erinnerung bleiben werden: Wir haben an zahlreichen Spielen und Turnieren in der Umgebung von Port Elizabeth und darüber hinaus teilgenommen. Gekrönt wurde unsere spielerische Leistung mit dem Sieg der Herrenmannschaft bei den südafrikanischen Handballnationalmeisterschaften in Kapstadt. Dabei haben wir sowohl auf, als auch neben dem Spielfeld immer wieder mit einer Geschlossenheit innerhalb der Mannschaft überzeugt, die ich bis zu diesem Zeitpunkt in so vielen Momenten vermisst hatte. Ein eindeutiges Highlight für mich waren die gemeinsamen Aufwärm- oder Feiersessions, die in der Regel mit viel Gesang und Tanz untermalt waren. Besonders dabei gab es immer wieder Momente, in denen ich das Gefühl hatte, nicht nur ein von weit her angereister Sponsor zu sein, sondern Teil des Teams, Teil der Vikings zu sein.

Ganz andere Erfahrungen als bei der Erwachsenen-Handballmannschaft machten wir in unserem anderen Projekt, der Grundschule Lamani. Dort nannten uns das Kollegium und die Schüler sehr bald nicht mehr „Mlungu“ (Xhosa für „hellhäutiger Mensch“), sondern Eiko und Immo. Diese rasche Entwicklung zeigt mir, wie schnell wir uns in die Gemeinschaft der Grundschule (der „Lamani-Family“) integriert haben. Wir wurden nicht mehr nur auf unsere Hautfarbe beschränkt, sondern haben enge Bindungen zu Schülern, Lehrern und sonstigem Personal der Lamani aufgebaut. Wir waren wie alle anderen Mitglieder der Gemeinschaft – mit unseren individuellen Eigenschaften, mit unseren Stärken und Schwächen.

Im Laufe des Jahres hatten wir viele Funktionen, die ein wenig von den Ansprüchen der jeweiligen Situation abhingen: Im Wesentlichen waren wir natürlich als Sportlehrer Teil des Lehrpersonals und damit Autoritätspersonen für die Kinder. Uns war es wichtig, diese Rolle, zumindest in gewissen Maßen, zu wahren. Denn im Unterricht hatten wir 20 bis 40 Kinder vor uns, denen wir unsere Ideen für den Sportunterricht nähergebracht haben. Dazu kommt, gerade bei den jüngeren Kindern, die sprachliche Barriere, denn auch bei ihnen ist die Muttersprache Xhosa. Ein völliger Autoritätsverlust hätte also unseren Sportunterricht und unsere damit verbundenen Ziele der Stärkung von sozialen Kompetenzen wie Teamgeist, Fairness und gegenseitige Rücksichtnahme nicht wirklich gefördert.

Doch abseits des Sportfelds, bietet gerade die Lamani mit der geringen Schülerzahl und der familiären Atmosphäre ein hohes Potenzial, sich intensiver mit einzelnen Schülern zu beschäftigen, und neben unserer Funktion als Sportlehrer auch noch als Freund oder sogar großer Bruder wahrgenommen zu werden. Ich habe erlebt, dass nach anfänglichem Kennenlernen unsere Beziehungen zu vielen Kindern (aber auch zum Kollegium) im Verlauf unseres Jahres immer fester und persönlicher wurden und wir dadurch authentischere Einblicke in das dortige Leben und generell in die Kultur bekamen.

Bei zahlreichen Veranstaltungen oder Ausflügen, die wir gemeinsam unternahmen, verfestigten sich unsere Bindungen. Und dann sind da von uns organisierte sportliche Veranstaltungen wie die „Handballclinic“ – ein dem Handball gewidmeter Tag, an dem wir mit Kindern aus zahlreichen Einsatzstellen des ASC Göttingens, der Verein, der unseren Freiwilligendienst organisiert hat, aus der gesamten südafrikanischen Provinz Eastern Cape Handball trainiert und spielt und viele Kinder unterschiedlicher Herkunft einander kennenlernen konnten. Das sind für mich eindeutige Highlights des Jahres.

Bei unserer Abschiedsfeier in der Schule wurde mir die Entwicklung unserer Beziehung zu den Kindern noch einmal bewusst, als viele Kinder uns Abschiedsbriefe überreichten, die allesamt mit offenen, herzerwärmenden Worten gefüllt waren. In ihnen erkannte ich mein Gefühl der Zugehörigkeit, das ich im Laufe des Jahres gewonnen hatte, wieder: Viele Kinder beschrieben, wie sie die Beziehung zwischen uns wahrnahmen und wie sie uns als Trainer, persönlichen Berater oder eben als großen Bruder ansehen und dass sie uns vermissen werden. Diese Erfahrungen, die ich in diesem Zusammenhang gemacht habe, sind für mich unbezahlbar.

Auch wenn es im Laufe des Jahres immer wieder Momente gab, in denen ich Dinge nicht verstanden habe oder mich nicht immer verstanden gefühlt habe: Insgesamt liegt ein lehr- und ereignisreiches Jahr hinter mir.

Ich bin dankbar für jede Situation, in der ich fremde Traditionen, Zusammenhänge oder Menschen kennenlernen durfte und für alle Einblicke in andere Kulturen, die mir durch neue Bekannt- oder Freundschaften gewährt wurden. Das ist, was für mich hängen bleibt. Abschließend möchte ich mich bei allen bedanken, die mich im Zusammenhang mit meinem Freiwilligendienst unterstützt haben – sei es auf finanzielle Weise oder in jeglicher anderer Form – und es mir somit ermöglicht haben, all diese Erfahrungen zu machen. Ich freue mich über jeden, der meine Artikel gelesen hat und mich somit ein wenig bei meinem Jahr in Südafrika begleitet hat und mit mir in die südafrikanische Kultur eingetaucht ist.

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