Claudia Koppert veröffentlicht tierische Erzählungen - Von Elke Keppler-Rosenau und Andreas Schultz

Vogel(g)arten

Auch der Spatz wird in Deutschland zunehmend zum Zaungast seiner eigenen Existenz.
 ©Elke Keppler-Rosenau

Stapel. Gleißender Sonnenschein bahnt sich am Morgen den Weg durch die Baumwipfel in den Garten. Der Frühling ist da, kommentiert durch mehrstimmiges Gezwitscher. Im Stapeler Kleinod von Claudia Koppert scheint die Welt noch in Ordnung: Dort finden Wildvögel ein kleines Refugium in der von Landwirtschaft geprägten Kulturlandschaft. In der ersten Reihe sitzt die Autorin, beobachtet, kümmert sich um Nistkästen, notiert. „Das ist ungeheuer fesselnd“, sagt Koppert – kurz nachdem aus den Notizen ein Buch geworden ist. „Im Vogelgarten“ heißt das Werk.

„Leben die Vögel bei uns, oder wohnen wir doch eher bei ihnen?“, lautet die Frage, auf die Leser auf den ersten Seiten stoßen – eigentlich schon eine kleine Provokation, stellt sie doch Grundsätzliches auf den Prüfstand: Darf sich der Mensch die Erde „untertan machen“, wie es schon im ersten Buch Mose steht? „Der Ansatz war ja lange erfolgreich, aber wenn das so weitergeht, geht das nicht gut aus“, meint Koppert. Wer möchte, darf in dem Werk also die Nuance einer Antithese zur industriellen Landwirtschaft, zur Ausbeutung der Schöpfung lesen. Eine lebendige Natur, eine „offene Welt, wo auch andere Platz finden, ist doch sehr viel erfüllender, spannender“, findet die Autorin.

Den lebendigen Landhausgarten mit seinen Büschen, mit Heidschnucken und einem kleinen Areal fürs Gemüsebeet gibt es zweimal: Einmal real und einmal leicht verfremdet in den Erzählungen, die sich auf rund 170 Seiten erstrecken. Koppert erzählt Geschichten, wie sie im Hier und Jetzt spielen können: Der echte wie geschriebene Gegenentwurf zu Artenrückgang, Vogelsterben und Überlebenskampf von Rotkehlchen und Spatzen brummt vor Leben in all seinen Facetten. „Es ist hoch interessant, was die Vögel da machen. Brüten, füttern, wie sie sich verhalten, wenn der Nachwuchs flügge wird“, schildert Koppert. Und kreativ sind die Tiere auch: Gerade beim Nestbau machen sie es sich gern auch mal einfach. So findet die Autorin beim Blick in Nistkästen Fellreste, die vom Bürsten der Wachhündin stammen. Ein Haarschnitt im Garten sorgt für eine ähnliche Überraschung: So wird sehr Persönliches und Vertrautes in einer anderen Umgebung zu etwas Neuem: zu Baumaterial. „Ich habe selbst geschaut, was ich eigentlich für ein Verhältnis zu den Tieren vor meiner Haustür habe.“ Das wiederum führte zu einer Entdeckungsreise im Garten, und letztlich zu einer großen „Verbundenheit zu dieser nicht-menschlichen Lebenswelt“, sagt Koppert.

Das spiegelt sich zwischen den Seiten des Werks wider: Herausgekommen ist eine Sammlung an Erzählungen, Anekdoten, wie sie wirklich und nicht wirklich stattgefunden haben. Wer genau liest, erkennt Figuren und Einzelheiten wieder: die Hündin, die 200 Jahre alten Bäume, Menschen. Aber um sie, auch um die Autorin und das Biografische selbst, geht es eigentlich gar nicht: Das erzählerische „Ich“ ist „meine Wahrnehmung, aber zugeschnitten auf Beobachtungen in der Welt dieser Vögel. Die Erzählungen haben einen fiktiven Kern, sind aber nicht reine Fantasie“, erklärt die Autorin. Es gehe darum, sich um genaue Schilderung des Wahrgenommenen zu bemühen, wie es im literarischen Genre des „Nature Writing“ typisch sei. „Es sind keine Niedlichkeitsgeschichten, es geht auch nicht um Idealisierung. Die Rettung liegt im Präzisieren“, erklärt die Autorin. Und auch das Weglassen sei eine Kunst. Deshalb bleibt „die Hündin“ im Buch namenlos, obwohl die meisten Besucher der Autorin wohl das Bellen Malu zuordnen können. So sieht es auch mit Katzen und Vögeln aus: Es geht um erzählerische Funktion, nicht um semantische Aufladung.

Präzision geht nicht ohne Ausgeglichenheit, zwitscherndes Leben nicht ohne die Stille des Todes. Die Autorin schildert im Buch daher auch eher Abstoßendes: „Eine Wolke von Gestank umhüllt den Nistkasten, ekelerregend, enttäuschend. Dabei: Wer Nisthilfen hütet, hat regelmäßig Kadaver vor sich. Auf die trifft man. Wer lebt, ist ausgeflogen. Als ich die Vorderwand des Nistkastens herausnehme, lösen sich kleine weiße Maden, fallen ab.“

Koppert zeigt in ihrem Buch ein Zusammenleben von Mensch und Tier auf, das von gegenseitigem Respekt geprägt ist. Sie erzählt von Begegnungen, die die natürliche Anmut der Natur nachvollziehen, von ihren Bemühungen, den Vögeln in ihrem „Vogelgarten“ einen Lebensraum zu bieten, der heute selten geworden ist. Sie beobachtet Nist- und Misserfolge, das Werden und Vergehen als natürliche Gesetzgebung und geht dabei auf erstaunliche Entdeckungsreisen vor ihrer Haustür, bei denen das Geflügel im Dorf und die Zugvögel am Himmel nicht ausgenommen sind.

Zehn Jahre der Beobachtung und Recherchen, zwei Jahre intensive Arbeit am Werk liegen hinter ihr. Beobachtetes ist untermauert durch eine fundierte Literaturauswahl am Ende des Buchs. Wer sich für das Ergebnis interessiert, kann der Schreiberin und Lektorin am morgigen Donnerstag, 4. April, lauschen. Ab 19.30 Uhr liest sie in der Galerie und Dorfbuchhandlung, In der Bredenau 1 in Fischerhude. Für die musikalische Begleitung sorgt Brigitte Borchers.

„Im Vogelgarten“ von Claudia Koppert ist im Fischerhuder Verlag Atelier im Bauernhaus erschienen. Der Band ist mit sechzehn Illustrationen des jungen, bereits prämierten Grafikerpaars Viola Konrad und Tilman Koppert ausgestattet. Gebunden, 164 Seiten, ISBN 978-3-96045-025-2

28.02.2021

Landpark Lauenbrück

12.02.2021

Winterlandschaft in Rotenburg

22.12.2020

Weihnachtsbilder

29.10.2020

Herbstfotos der Leser