Volkhard Jürgens reist mit dem Hundeschlitten durch Schweden - Von Nina Baucke

Da draußen, wo nichts ist

Die Expedition führt Volkhard Jürgens durch die Weite Schwedens.
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Jeersdorf. Schnee, so weit das Auge reicht. Und nicht nur das ist anders: Fernab jeder Zivilisation ist es für Volkhard Jürgens ein befreiendes Gefühl, Luft in seine Lungen zu saugen, „reine, extrem klare Luft“, wie er betont. Luft, die im dichtbesiedelten Europa nicht mehr so ohne weiteres zu finden ist – dafür aber in Mittelschweden. Immer wieder führt es den 49-Jährigen aus Jeersdorf hinaus in die Wildnis, mal nach Nordamerika, mal nach Nordeuropa. Als Musher (Hundeschlittenführer) geht es für ihn dieses Jahr in das Land der Elche.

Alles beginnt mit dem Anruf von einer Freundin, Mel Andrews, die bereits fast alle großen Hundeschlittenrennen der Welt bestritten hat. Die Engländerin lebt zusammen mit 60 Schlittenhunden in der norwegischen Kleinstadt Røros, die zum Weltkulturerbe der Unesco zählt. Via Facebook sucht sie Teilnehmer für eine Expedition von Norwegen aus durch den schwedischen Nationalpark Sonfjället. „Und da ich ein bisschen bekloppt bin, war für mich die Sache schnell klar“, erzählt Jürgens. Ursprünglich hatte er vor, am Yukon Quest teilzunehmen, einem Hundeschlittenrennen über 1.600 Kilometer in Alaska, teilzunehmen. „Aber ich bin einfach nicht der Renntyp. Mir ist es wichtiger, einfach in der Natur zu sein.“

Er und Andrews sind am Ende die einzigen beiden Expeditionsteilnehmer, die Erfahrungen mit Hundeschlitten haben. Für die anderen drei, die Andrews mit an Bord holt, ist es eine Premiere: der Engländer Tom „Zany Duracel“ Rainey, aktueller Guinness-Rekordhalter in Sachen Atlantiküberquerung im Ruderboot. Die Engländerin Natalie Wilson, vorher als Bergführerin in Tibet unterwegs. Und Tracking-Experte Mindaugas Sarpis aus Litauen. Die Mission: Die norwegische Umweltbehörde benötigt Geodaten aus der Region, Boden- und Schneeproben, Temperaturen. „Weil dort nunmal keine Siedlungen sind, bekommt man unverfälschte, echte Werte“, sagt Jürgens. Überhaupt hat die zwar extrem kalte und zugleich reine Luft einen erstaunlichen Effekt: „Man erkältet sich nicht“, erklärt der Jeersdorfer. „Man friert, aber dadurch, dass es dort einfach keine Viren gibt, bleibt die Erkältung aus. Je kälter es dort ist, desto besser für die Gesundheit.“ Ende März zeigt das Thermometer in der Region tagsüber bis zu minus acht Grad, nachts sinken die Temperaturen auf minus 20 Grad. Das ist fast noch moderat, denn bereits im Januar hat Jürgens alleine einen Testlauf in der Gegend unternommen – bei bis zu minus 38 Grad. „Aber dadurch, dass es eine trockene Kälte ist, ist sehr gut auszuhalten“, erklärt der Jeersdorfer. „Dagegen ist Hamburg bei Null Grad und Regen nicht so schön.“ Nur einmal wird es richtig fies: als nach einem warmen Tag Eisnebel aufkommt. „Der zieht richtig rein: Erst schwitzt man noch, dann gefrieren die Sachen in Windeseile.“ Mehr als 500 Kilometer führt Ende März Jürgens’ Weg von Røros über die Grenze nach Schweden in den Nationalpark und zurück, sechs Tage lang. Jeden Tag fast 100 Kilometer per Schlitten durch die menschenleere Region. „Da ist nichts außer Elche“, beschreibt Jürgens. Und Rentiere: Einmal sehen er und das Team eine riesige Herde, so groß, wie er es noch nie gesehen hat. Ansonsten ist das Gebiet nicht dicht bewaldet, neben den hohen Bergen prägen hauptsächlich Sträucher das Landschaftsbild. Eine halbe Tonne, mehr Gewicht kommt nicht auf die Schlitten – daher haben Jürgens und das Expeditionsteam als Vorräte Essen in dehydrierter Form dabei. „Das schmeckt tatsächlich“, behauptet Jürgens und lacht. „Ein bisschen Wasser und – buff – sind es Spaghetti Bolognese.“ Zum Frühstück gibt es Porridge, zwischendurch mal ein Energieriegel. „Draußen schmeckt alles gut.“ Doch so lecker das Essen auch ist, er nimmt während der fünf Tage einige Kilos ab. Kein Wunder, 1.000 Kalorien nimmt er jeden Tag zu sich, 3.000 bis 4.000 verbraucht er. „Das Trinken ist dabei das wichtigste“, weiß Jürgens. Denn Dehydrieren geht schnell, unter der dicken Kleidung schwitzen die fünf Abenteurer so einige Liter aus. Der Tagesablauf in der schwedischen Weite ist immer gleich: früh aufstehen, Feuer machen und Wasser kochen, die Hunde füttern, Frühstück, Vorbereitung für den Start und die Hunde ins Geschirr legen. Allein für Feuer und Wasser braucht das Team eine Stunde, insgesamt dauert es vier Stunden, bis es gegen 11 Uhr los geht. Gegen 23 Uhr endet der Tag mit der Suche eines Rastplatzes. Dabei achten die Expeditionsteilnehmer darauf, dass es ein windgeschütztes Fleckchen ist, wo sie die Schlitten gut parken und Leinen für die Hunde spannen können. Es sind Alaskan Huskys, mit denen Jürgens, Andrews, Wilson, Sarpis und Rainey unterwegs sind, eine Züchtung zwischen Nordischen Hunden und Jagdhunden wie Pointer, Salukie und Hounds. „Sie wirken plüschig, sind aber absolut keine Hunde zum Spielen.“ Alle Hunde, mit denen das Team unterwegs ist, sind im Besitz von Andrews. „Es ist schon was besonderes, von ihr diese Hunde ausgeliehen zu bekommen, immerhin sind sie ihr Kapital“, sagt Jürgens nicht ohne Stolz. Für ihn, der zum ersten Mal eine solche Tour in einem größeren Team unternommen hat, ist es eine „mega spannende Erfahrung“ – und eine gute Mischung, „die Hochleistungssportler auf der einen und Mel und ich als erfahrene Musher auf der anderen Seite.“ Meistens fährt er hinten und sichert die Reihe ab, an anderen Tagen führt er das Team mit GPS durch die Landschaft – „und auch darauf muss man sich erstmal einstellen“. Dennoch würde er immer wieder mit Andrews, Wilson, Sarpis und Rainey auf Tour gehen. „Denn mit einem guten Team – das macht einfach Spaß!“ Aber den eigentlichen Reiz macht die Umgebung aus. Das wird ihm besonders beim Testlauf im Alleingang deutlich. „Wenn ich morgens aus dem Schlafsack krieche, ist es erstmal einfach nur kalt: im Zelt, der Schlafsack, die Klamotten. Aber wenn ich das Zelt verlasse und das Wetter dann noch gut ist, ist es superschön“, schwärmt er. „Das ist sehr befreiend und macht den Kopf klar.“ Irgendwo, in der Weite Schwedens, bei 30 Grad Minus auf einem Bergplateau. Da draußen, wo nichts ist, außer Rentier-Herden – und Schnee.

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