Rotenburg – Die Sonne scheint, auch wenn sich ein paar Wolken am Himmel zeigen. An der Rotenburger Straße „Eisvogelweg“ ist es trotzdem ruhig. Nur in der Kurve am Ende kommt eine Frau gerade nach Hause und bringt ihr Fahrrad in die Garage. Wer dort angekommen ist, sieht zwischen zwei Häusern einen neuen Storchenhorst hervorblitzen. Und der ist das Resultat einer gut funktionierenden Gemeinschaft, sagen Anwohner Tim Heitmann, der 2019 dort gebaut hat, und seine Nachbarin Alexandra Hagenah, die mit ihrer Familie vor neun Monaten an den Eisvogelweg gezogen ist.
Es ist eine Nachbarschaft, in der es um mehr geht als die bloße Annahme von Paketen oder das Ausleihen von Werkzeugen. „Ich bin sehr kontaktfreudig“, sagt der gebürtige Rheinländer Heitmann, der eine Whatsapp-Gruppe für die Straße erstellt hat. „Und es sind alle drin, und sie wird genutzt“, sagt er. Das sind kleine Dinge wie „ich brauche mal Mehl“ bis hin zum Ausleihen von Gartengeräten oder anderen Hilfestellungen.
Die Pandemie hat der Straßengemeinschaft keinen Abbruch getan, auch wenn vieles digital geregelt wurde, was sonst bei Treffen geschehen wäre. Im Gegenteil: „In der Zeit haben wir trotzdem vieles gemacht, und hier anzukommen war unkompliziert – so, wie ich es mir wünsche. Der Nachbar steht nicht ständig unangemeldet vor der Tür, aber wenn man ihn braucht, ist er da und man kann auf jeden zugehen“, resümiert Hagenah die ersten Monate, die sie nun dort lebt. Vor einem Jahr hatte Benjamin Haase seine Nachbarn aufgerufen, an der Aktion „Rotenburg räumt auf!“ teilzunehmen. Um die 40 Anwohner, kleine und große, haben anschließend im angrenzenden Waldstück Müll gesammelt. Und da kam einiges zusammen: Am Ende brauchten sie einen Container, um alte Autoreifen, eine Badewanne, Wellblech und allerlei anderen Unrat abtransportieren zu lassen. „Über die große Resonanz habe ich mich sehr gefreut. Die positive Stimmung unter den Beteiligten machte Mut zu weiteren Aktionen“, erklärt Haase. Zum Dank für die Unterstützung gab es von der Stadt 40 Rotenburger Zehner. Die Nachbarn legten sie zusammen für ein Projekt, das der Natur zugute kommen sollte. Sie ließen sich von Experten des Nabu beraten und entschieden sich dafür, einen Storchenhorst aufzustellen. „Für den Eisvogel ist es hier zu trocken“, bedauert Hagenah – den zum Nisten anzulocken, wäre sehr passend gewesen. Für die selbstgebaute Nisthilfe gab es zudem Unterstützung von der Stadt, der Revierförsterei sowie dem Kinder- und Jugendheim Eichenhof in Waffensen. Als Aufstellort bot sich das eingezäunte Regenrückhaltebecken an, das sonst nicht betreten werden darf. Bei einem gemeinsamen Straßenfest im Sommer, das alle von einem Ende zum anderen noch näher zusammengebracht habe, haben sie alles besprochen. Der gut acht Meter lange Mast steht bereits und wartet auf Bewohner – doch dafür war es dieses Jahr wahrscheinlich schon zu spät. Nun hofft die Gemeinschaft, dass sich nächstes Jahr ein Storchenpaar findet, dass dort einziehen möchte. Vorsorglich haben sie schon auf Anraten des Nabu-Experten Wilfried Glauch mit weißer Farbe Kleckse verteilt – damit die Tiere denken, dass der Horst bereits bewohnt war. „Über das gemeinsame Tun wächst die Straßengemeinschaft weiter zusammen“, meint Haase. „Alle sind aufgeschlossen. Nicht jeder nimmt an allem aktiv teil, aber das muss ja auch nicht sein – jeder, wie er möchte und kann“, so Hagenah. „Es gibt keinen, der dagegen schießt“, sagt Heitmann und erinnert an den Straßenflohmarkt, den sie am vergangenen Wochenende organisiert hatten – denn der benötigt auch eine Straßensperrung an dem Tag. Aber es braucht natürlich auch hier immer ein paar, die vorangehen und den Anstoß geben. Auch eine weitere Aktion hat die Eisvogelgemeinschaft angeschoben: Nachdem Hagenah in der Kreiszeitung den Artikel über den Botheler Ingo Kuntze gelesen hatte. Dieser hatte dafür gesorgt, dass alle Mülltonnen auf einer Seite stehen. So braucht der Entsorger nur eine Tour zu fahren, statt irgendwo umständlich zu wenden, um dann die Tonnen auf der anderen Straßenseite abzuklappern. „Das ist so einfach und bringt einen großen Effekt ohne viel Mehraufwand.“ Gemeinsam mit dem Abfallwirtschaftsbetrieb hat sie kurzfristig eine Absprache getroffen. „Das spart Zeit, Geld, Benzin und ist sicherer für unsere Kinder, wenn sie nur einmal durchfahren.“ Sie würden damit auch gerne Vorbild für andere Straßen sein. „Die Müllwerker sind da auch froh drüber.“ Auf die Stadt hochgerechnet würde man sich damit sicherlich einige Tankfüllungen sparen, meint Heitmann – wenngleich es sicher nicht in allen Straßen auch machbar ist. Übrigens: Mit dem Geld, das aus den Standgebühren beim Straßenflohmarkt übrig bleibt, will die Eisvogelgemeinschaft wieder etwas für die Natur auf die Beine stellen. Ein Gedanke, der ihnen dabei vorschwebt: die Beete an der Straße mit Insektenhotels auszustatten oder zu bepflanzen. acb