VON PAULINE VOCKENROTH

„Gewartet, bis wir sterben“

Rosa Moshawah mit Simbav-Koordinatorin Ina Helwig.
 ©Vockenroth

Rosa Moshawah ist ein Beispiel für erfolgreiche Integration

Die größten Hürden zu überwinden, sich anzupassen, zu lernen: Das ist die möglicherweise größte Stärke der Menschen. Die gebürtige Syrerin Rosa Moshawah gehört zu jenen, die das geschafft haben. Mit der ersten großen Flüchtlingswelle 2015 flohen sie und ihr Mann aus Syrien. Heute ist sie ehrenamtlich engagiert und ein Vorzeigebeispiel für gelungene Integration. Seit neun Jahren lebt sie in Rotenburg. Als sie damals am Ende ihrer 30-tägigen Flucht in München ankam, hatte sie vermutlich noch nicht den Gedanken, irgendwann in der niedersächsischen Provinz zu wohnen – mit ihren drei Kindern, ihrem Mann und einer Doppelhaushälfte, in der die Familie zur Miete wohnt.

Nach ihrer Ankunft in München wurden Moshawah, die damals mit ihrem ersten Kind schwanger war, und ihr Mann nach Visselhövede geschickt, wo sie die ersten vier Monate in einer Jugendherberge lebte. Danach ging es für anderthalb Jahre auf den Campus Unterstedt. „Für mich war das von allem die schlimmste Zeit“, erinnert sich Moshawah. Ohne Sprachkenntnisse und ungeplant schwanger, lebte sie mit ihrem Mann in einem kleinen Zimmer mit einer Küche, die sich mehrere Familien teilten. „Es war auch nicht sauber, das hat uns Frauen genervt.“

Dass das für sie so nicht weitergehen kann, war ihr sofort klar. Von Anfang an versuchte sie, die deutsche Sprache erlernen. Hilfe dafür bekam sie beim internationalen Frühstück bei Simbav. Dort schrieb sie sich für die Eltern-Kind-Sprachkurse ein. „Ich habe mir damals gesagt, ,ich muss jeden Tag hin‘ und ,ich will doch Deutsch lernen‘, also bin ich jeden Tag zu dem Deutschkurs gegangen“, sagt Moshawah über ihren ersten Deutsch-Intensivkurs bei Simbav. Damals war ihr erster Sohn gerade fünf Monate alt. Auch als sie ihren zweiten Intensivkurs im Jugendzentrum besuchte und mit ihrem zweiten Kind schwanger war, kam sie jeden Tag.

„Rosa und ihr Mann sind sehr früh zu uns gekommen, und man muss sagen, von Anfang an war da ganz viel Offenheit“, erzählt Ina Helwig, Koordinatorin bei dem Familienverein. Auch für sie war das damals die erste große Flüchtlingswelle, die sie bei Simbav koordiniert hat. „Rosa hat sich damals schon sehr bemüht und gut Deutsch gesprochen und man hat gemerkt, sie will“, sagt Helwig.

Im Gespräch wird klar, dass die Eltern-Kind-Sprachkurse einen wichtigen Teil zur Integration beigetragen haben. Durch die Kinderbetreuung würden deutlich mehr Mütter an den Kursen teilnehmen, meint Helwig, allerdings können die Kurse aktuell aus finanziellem und personellem Mangel nicht mehr vom Verein getragen werden, was die Koordinatorin bedauert. Da die Integration der Mütter auch die der Kinder beeinflussen würde.

Ein Kurs, der für Moshawah damals ebenso wichtig war, war Simbavs Elternbildungsangebot. „Was untergeht in der ganzen Integrationsarbeit, ist auch den Eltern zu vermitteln, wie die Dinge in Deutschland laufen“, so Helwig. In dem Kurs wurden Themen wie Babys und Medien, gesunde Ernährung, aber auch Verhütung mit den syrischen Müttern besprochen. „Selbst für mich war das eine neue Erfahrung, dass so etwas wie Verhütung gar nicht bekannt ist“, erinnert sich Helwig mit Erstaunen.

Moshawah und Helwig werden schnell zu Vertrauten, sind sich dabei aber nicht immer über alles einig. „Ich finde es wichtig, auch mal kontrovers zu diskutieren“, erzählt Helwig. „Nur weil man in ein anderes Land kommt, verschwindet das nicht, was man in seinen Wurzeln trägt.“ Ihre Unterhaltungen drehen sich oft um Unterschiede in der Kultur und Lebensweise von Syrien und Deutschland. Zur Integration gehöre mehr, als die Sprache sprechen zu können, so Helwig. Es ist wichtig, das Warum hinter der Ansicht des anderen zu verstehen „Nur ein ehrliches und deutliches Miteinander, führt dazu, dass das Gegenüber einen verstehen kann.“

„Seit 2018 arbeite ich ehrenamtlich bei Simbav, zwei Mal die Woche“, erzählt Moshawah. „Ich will nicht einfach zu Hause bleiben.“ In ihrem Bestreben, Deutsch zu lernen und sich zu integrieren, hat sie immer Rückhalt von ihrem Ehemann bekommen. Dieser arbeitete in Syrien als Geschichtslehrer und war einer der treibenden Motoren hinter ihrer Flucht. Aktuell arbeitet er als Lagerist, versuche sich so weiterzubilden, dass er auch in Deutschland unterrichten kann.

Dass Moshawah direkt nach ihrer Ankunft in Deutschland so bemüht war, die Sprache zu lernen, ist für sie jetzt ein riesiger Vorteil, ist sie überzeugt. Mittlerweile sind ihre Kinder acht, sechs und zwei Jahre alt. Dass sie ihren beiden ältesten Söhnen in der Schule helfen kann, macht sie glücklich. Sollte es mal Probleme geben, kann sie sich mit den Lehrerinnen und Lehrern unterhalten. Auch bei den Kindern ihrer Schwester, die später nach Deutschland kam, hilft sie, wenn mit der Schule kommuniziert wird. „Wir müssen dringend dafür sorgen, dass auch Mütter mit kleinen Kindern die Sprache sprechen können“, betont Helwig.

Unterstützung vom Staat wollten Moshawah und ihr Ehemann nie haben. Nebenan wohnt ein Rentnerehepaar, das mittlerweile fast zur Familie gehört, erzählt Moshawah mit einem Lachen. „Wir alle nennen sie Großvater und Großmutter.“ Um ihren Mann zu unterstützen, möchte sie auch einen Realschulabschluss und eine Ausbildung zur Erzieherin machen. Einen Platz für den Schulabschluss zu finden, sei nicht leicht. „Die meisten Angebote sind abends, aber da muss ich zu Hause sein, weil mein Mann arbeitet.“ Die deutsche Staatsbürgerschaft hat die Familie schon. „Als ich den Integrationskurs machen wollte, gab es einen Einstufungstest. Da wurde mir gesagt, ich brauche den Kurs nicht und kann gleich die Prüfung schreiben.“ Darauf ist Moshawah stolz, sie hat sofort bestanden.

Es an diesen Punkt im Leben zu schaffen, war für sie nicht leicht, der Weg dahin schwer und voller Gefahren. Sie war 14, als die Terrororganisation IS die Kontrolle über Syrien übernahm. An ihre Situation erinnert sie sich deutlich. „Das war ganz schlimm. Ich musste mich immer komplett schwarz bedecken, wenn ich das Haus verließ, und auch Küche und Bad waren nicht unter einem Dach.“ Zu der Zeit gab es keine Sicherheit für sie und ihren Mann, der nicht arbeiten durfte. „Die Männer wollten Arbeit haben, lernen und sich weiterbilden. Ich war in der neunten Klasse und ich wollte weiterlernen.“ Doch diese Perspektiven gab es in Syrien nicht mehr. Sicherheit war ein Fremdwort, bis die Entscheidung zur Flucht fiel. „Mein Mann sagte: ,Ich glaube, wir müssen raus. Man kann hier nichts aufbauen‘.“

Die erste Station auf der Flucht nach Europa war die Türkei. Einen halben Monat verbrachte sie dort. Bis man ihnen am Meer ein Schlauchboot gab, mit dem sie nach Griechenland übersetzen sollten. „Darauf durften maximal 20 Leute, und wir waren 55“, ist Moshawah bis heute schockiert. „Mein Mann musste das Boot fahren, weil die Leute, die sonst da waren, so jung waren – 17 oder 19 Jahre.“ Älter als sie selbst, aber jünger als ihr Ehemann. Das Boot hatte die Gruppe einfach bekommen, mit der Bedingung, sich um den Rest zu kümmern. Eine Horrorfahrt, wie Moshawah erzählt. Zwar sollte die Fahrt nur 40 bis 50 Minuten dauern, doch bereits auf der Hälfte der Strecke ging der Motor kaputt und eine der Bodenplatten war beschädigt, sodass Wasser eindrang – „mitten auf dem Meer“.

„Wir hatten die Notrufnummern von der Küstenwache von Griechenland bekommen“, erzählt sie. „Uns wurde gesagt, wenn es Probleme gibt, sollen wir unseren Standort dahin schicken, dann würde uns jemand helfen.“ Keine Versicherung, die sie oder sonst jemandem auf dem Boot geholfen hätte. „Wir waren komplett von Wasser umgeben“, ist ihr die Situation noch im Gedächtnis. „In dem Moment hatte ich gar kein Gefühl. Ich hatte keine Angst und ich konnte nicht weinen. Allen anderen ging es genauso. Ich habe gewartet, bis wir sterben.“

Doch es kam anders, die Seenotrettung Griechenlands reagierte. „Wir haben unseren Standort geschickt, aber wir haben nicht geglaubt, dass es was bringt“, gesteht sie ein. „Wir haben nicht erwartet, dass wir gerettet werden.“ Nach der Rettung in Griechenland ist für die Familie kein Ende der Flucht in Sicht. Von dort aus geht es für Moshawah und ihren Ehemann über Serbien, Bulgarien, Kroatien und Österreich nach Deutschland. Was von Anfang an ihr Ziel war. „Wir wollten Sicherheit. In Syrien ist nichts sicher gewesen.“

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