Unterwegs mit der Bundesrichterin Ursula Rinck

Die unbekannte Prominente

Bundesrichterin am Ersten Senat des Bundesarbeitsgerichts: Dr. Ursula Rinck.
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VON MICHAEL SCHWEKENDIEK

Rotenburg – Natürlich ist Ursula Rinck (52) nicht wirklich unbekannt in Rotenburg. Sie ist hier geboren und aufgewachsen, ihr Vater war hier als Rechtsanwalt und Notar tätig – Rincks sind sozusagen Rotenburger „Urgestein“. Trotzdem werden die wenigsten wissen, was und wo sie arbeitet: Dr. Ursula Rinck ist Richterin an einem der höchsten deutschen Gerichte, dem Bundesarbeitsgericht in Erfurt. Dort sitzt sie im sogenannten „Ersten Senat“ (von insgesamt zehn) und befindet letztinstanzlich über strittige Fragen unseres Arbeitsrechtes.

In diesem Ersten Senat werden vor allem Fragen des Tarifrechts entschieden. Auch Fragen des Betriebsverfassungsrechts oder zu einem eventuell drohenden Arbeitskampf. Eine der jüngsten Entscheidungen, bei der Ursula Rinck maßgeblich beteiligt war, betraf die Frage, inwieweit ein Betriebsrat das Recht hat, vom Arbeitgeber eine Arbeitszeiterfassung zu verlangen. Kurz gesagt: Das ist die allerhöchste Ebene im deutschen Arbeitsrecht, und die Rotenburgerin ist an entscheidender Stelle dabei. Bis es zu einem Urteil kommt, das die Richter in ihren typischen roten Roben verkünden, können durchaus Monate ins Land gehen. Vorentwürfe werden diskutiert, Akten „befragt“ und auch Laien – jeweils einer von Arbeitgeber- und einer von Arbeitnehmerseite – sind immer mit eingebunden. Immerhin: So eine Entscheidung ist „höchstrichterlich“ und damit bindend.

Geplant war das alles so nicht. Für eine Stelle an einem Bundesgericht kann man sich nämlich nicht einfach bewerben. Ursula Rinck hat Abitur am Ratsgymnasium gemacht, war während der Schulzeit ein Jahr mit Rotary im Schüleraustausch in den USA und hat dann in Passau Jura studiert. Dort lernte sie seinerzeit auch ihren Mann Klaus kennen, einen gebürtigen Rheinländer, der inzwischen vielen aus der Rotenburger Kommunalpolitik bekannt und seinerseits ebenfalls im Arbeitsrecht unterwegs ist – als Vorsitzender Richter des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen in Hannover.

Nach dem Studium gingen die beiden Rincks ins Referendariat nach Würzburg, später erfolgte dann, ebenfalls für beide, schon einmal eine Abordnung als Assistenten an das Erfurter Bundesarbeitsgericht. Verhältnismäßig kurz nacheinander wurden dem Ehepaar dann vier Kinder geboren, von denen heute drei studieren, während der jüngste kurz vor dem Abitur steht. Ursula Rinck hat aber fast immer gearbeitet.

Auf der Strecke blieb ihr damals größtes Hobby, das Reiten. Ihre Augen glänzen noch, als wir am Rotenburger Reitstall unsere gemeinsame Wanderung starten. Vor 25 Jahren hat sie ihr Reitpferd abgegeben, weiß aber noch genau, in welcher Box die Stute stand, die sie mit 13 Jahren bekam, und kennt jeden Weg in der Umgebung, den sie „hoch zu Ross“ absolviert hat. Nach vielen Regenfällen der letzten Tage ist es heute recht freundlich auf dem Nordpfad „Rotenburger Wasserreich“. Zeit der Erinnerungen: „In dieser Sandkuhle [Anm. kurz hinter Worth] waren wir oft mit den Pferden“, „hier sind wir früher gerodelt“, „das war unser bevorzugter Reitweg“. Der war jetzt nicht möglich. Die Rodaubrücke ist gesperrt. Also geht’s über den Mecke-Damm wieder zurück Richtung Reitstall. Es war eine schöne Zeit mit den Pferden – aber jetzt ist längst ein anderes Hobby dran: Die Rincks tanzen. Und zwar nicht mal eben den klassischen Rotenburger Discofox oder den versuchten Wiener Walzer linksrum. Hier geht’s um Turniertanz! Dazu braucht man eine spezielle Lizenz, einen speziellen Trainer und in der Regel drei Mal die Woche Training. Und das bereits in der untersten „Master-Klasse“ (D-Klasse).

Dabei ist die Frau etwa die Hälfte der Woche in Erfurt, wo sie eine Zweitwohnung hat. Richter können einen Teil ihrer Arbeitszeit zu Hause verbringen, aber „der Austausch mit den Kollegen vor Ort ist natürlich wichtig.“ Mit ihr sind noch 37 andere Richterinnen und Richter am Bundesarbeitsgericht tätig, das damit eines der kleinsten Bundesgerichte ist. Seit gut zehn Jahren ist Ursula Rinck dort wieder aktiv, nachdem sie zwischendurch in Bremen und Bremerhaven war. An ein Bundesgericht wird man berufen – in ihrem Fall durch einen „Wahlausschuss“ zu dem Richter und Ministerialbeamte sowie der zuständige Bundesminister selbst gehören. Nach Stationen in zwei anderen Senaten, in denen es unter anderem um Eingruppierungsfragen im Tarif oder auch Kündigungen geht, ist sie seit gut einem Jahr nun im Ersten Senat. Zu den Aufgaben einer Bundesrichterin gehören aber auch regelmäßige wissenschaftliche Veröffentlichungen zu Fragen des Arbeitsrechts, Vorträge und auch Lehraufträge an Hochschulen.

Aber das reicht der Richterin offensichtlich noch nicht: Seit drei Jahren nimmt sie auch wieder Klavierunterricht und hat im Sommer mit ihrem Mann gerade die Alpen zu Fuß überquert („Von Garmisch-Partenkirchen bis Sterzing in Südtirol – traumhaft!“). Und ob Beruf, Tanzen oder Wandern: „Ich brauche die Herausforderung!“ Klar, dass die knapp zehn Kilometer, die wir an diesem Morgen wandern, für sie ein eher lockeres Unterfangen sind.

Mal wieder, so stellt der Chronist fest, ist er unterwegs gewesen mit einer Person, die ihren Beruf liebt, sich an ihren Hobbies begeistert und in allerhöchsten Tönen von ihrer Familie erzählt. Ein – im besten Sinne – „hervorragendes“ Leben. So die wörtliche Bedeutung von „prominent“. Auch wenn man vielleicht gar nicht als Prominente gelten möchte.

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