Selbsthilfegruppen gehen kreativ mit der Coronakrise um - Von Dennis Bartz

Rituale für den Alltag

Klaus Henner Spierling
 ©Rotenburger Rundschau

Rotenburg. Miteinander, füreinander und voneinander – darauf baut Selbsthilfe. Die Teilnehmer in den vielen Projekten und Gruppen tauschen sich in schwierigen Situationen mit anderen Betroffenen aus und finden Wege aus der Tabuisierung. „Oft ist es gerade das Erleben, mit einer schwierigen Situation alleine zu sein, das die Probleme größer werden lässt“, sagt Diplom-Psychologe Klaus Henner Spierling von der Klinik für Kinder und Jugendliche, Sozialpädiatrisches Zentrum des Agaplesion Diakonieklinikums.

Im Raum Rotenburg gibt es eine Reihe von Angeboten, in denen betroffene Einzelpersonen und Familien zusammenkommen und „in einem Boot sitzen“, Unterstützung und Anregungen voneinander erhalten. Beispiele dafür sind

• Kidstime als Mehrfamilienangebot für Kinder und ihre Familien bei psychisch erkranktem oder belasteten Elternteil

• die Trauergruppe für Kinder, die den Verlust naher Angehöriger erlitten haben

• die Ziss der Caritas als zentrale Stelle zur Koordinierung ud Unterstützung von Selbsthilfeangeboten.

Gerade die Möglichkeit, miteinander Kontakte aufzubauen und sich gegenseitig zu unterstützen besteht angesichts der aktuellen Corona-Beschränkungen für die Betroffenen kaum. Vertreter der drei genannten Projekte sind jedoch miteinander im Kontakt und überlegen gemeinsam, welche Unterstützungen aktuell möglich sind, aber auch was aktuell zu kurz kommt.

Veronika Czech (Ziss), Almuth Baack Bione (Trauergruppe) und Spierling von Kidstime haben die Erfahrung gemacht, dass viele Familien die Corona-Beschränkungen unterschiedlich erleben. Was für die eine Familie zu mehr Ruhe im Alltag beiträgt und mehr Zeit füreinander im oft stressigen Alltag ermöglicht, ist für andere Familien eine Stressquelle.

Gerade die fehlende Möglichkeit, Freunde zu treffen, und die eingeschränkte Tagesstruktur ist für viele eine Belastung. Zudem fällt vielen Familien mit der Zeit buchstäblich „die Decke auf den Kopf“, wenn sich alles in den eigenen vier Wänden abspielt.

Wie erleben Akteure aus den verschiedenen Projekten die Situation der Familien, und wie reagieren sie darauf? Die Rundschau hat nachgefragt.

Klaus Henner Spierling von Kidstime: „Bei der Multifamilienarbeit zum Beispiel wie in Kidstime wird Gemeinsamkeit groß geschrieben. Normalerweise kommen Familien – Eltern und Kinder, oftmals auch Großeltern und weitere Familienmitglieder – regelmäßig zusammen und erleben, mit den je eigenen Schwierigkeiten nicht alleine zu sein. Vieles davon geht jetzt nicht mehr, und wir beobachten, dass die Schwierigkeiten mit fortlaufender Zeit oft größer werden.

Aktuell halten wir den Kontakt nur telefonisch, darüber hinaus sind über die Internetseite www.kidstime-netzwerk.de einige Online-Angebote verfügbar, eine demnächst regelmäßige virtuelle Austauschmöglichkeit (zunächst skypebasiert) wird eingerichtet.

Wir von Kidstime empfehlen allen Familien, eine feste Tagesstruktur und gewohnte gemeinsame Rituale in den Alltag einzubauen. Schön ist es, wenn Familien Wege wiederentdecken, die gemeinsam Freude machen: zum Beispiel Basteln, Spielen und Lesen.

Aber auch die sonst vielleicht strengeren Regeln zum Umgang mit Medien können in dieser Zeit lockerer sein, wenn es hilft, Streitigkeiten zu vermeiden. Alle Empfehlungen ersetzen aber nicht den persönlichen Kontakt – wir hoffen, möglichst schnell wieder persönliche Treffen anbieten zu können. Das gilt besonders für die neu gestarteten Standorte in Zeven und in Walsrode, die leider bereits kurz nach dem Start wegen Corona-Regelungen für eine Weile wieder geschlossen werden mussten.“

Almuth Baack Bione von der Kindertrauergruppe des Hospizvereins Rotenburg: „Den Tod eines nahestehenden Menschen erfahren Kinder und Jugendliche als einen tiefen Einschnitt in ihr Leben, verbunden mit vielen schwer fassbaren, verwirrenden Gefühlen. Vieles verändert sich in ihrem famiären und sozialen Umfeld – kaum etwas bleibt, wie es war. Unsere Mitarbeiter haben es sich zur Aufgabe gemacht, mit der Kindertrauergruppe Unterstützung und Begleitung anzubieten. Jeden zweiten und vierten Dienstag im Monat treffen sich die Kinder und Jugendlichen in Begleitung ihrer Angehörigen. Aufgrund der Corona-Krise kann dieser Austausch im Moment jedoch nicht stattfinden.

Die Kinder, Jugendlichen und deren Angehörige dürfen aber gerade jetzt nicht alleine gelassen werden. Daher ist eine kostenlose Beratungshotline unter 0157/34246399 eingerichtet worden. Montags von 11 Uhr bis 13 Uhr, mittwochs von 14 bis 16 Uhr und freitags von 17 bis 19 Uhr sind wir erreichbar. Das Angebot richtet sich nicht nur an diejenigen, die bereits die Kindertrauergruppe in Anspruch nehmen, sondern an alle Kinder, Jugendliche und deren Angehörige, die sich in einer ähnlichen Situation befinden.“

Veronika Czech von Ziss: „In der Selbsthilfekontaktstelle ist die Beratungsarbeit durch die Kontaktbeschränkungen ebenfalls mit vielen Einschränkungen verbunden, wir arbeiten so gut es geht weiter, auch, um den Kontakt zu unseren Selbsthilfegruppen zu halten und Unterstützung zu bieten. Aktuell beraten wir telefonisch. Auch für die Selbsthilfegruppen ist die Corona-Pandemie sehr belastend, da die Gruppensitzungen dort ebenfalls nicht in vertrauter Form stattfinden können. Besonders schwer ist die Situation bei Selbsthilfegruppen für psychiatrische Krankheitsbilder. Für diese Gruppen sind regelmäßige persönliche Treffen zur Stabilisierung und als „Auffangbecken“ äußerst wichtig. Durch diesen Wegfall geraten einige Teilnehmer buchstäblich in ein „Loch“. Schön ist es jedoch für uns zu sehen, wie kreativ die einzelnen Gruppen versuchen, mit neuen Möglichkeiten zu experimentieren. Sie probieren sich gerade auf neuen Wegen und machen positive Erfahrungen mit videogestützten ersten Gruppenchats, um weiterhin in Kontakt bleiben zu können.

Alle Gruppen möchten so schnell wie möglich wieder die reguläre Arbeit aufnehmen. In der Zwischenzeit bemühen sich alle Projekte darum, Kontakt zu halten und zumindest minimierte Angebote aufrecht zu halten. Und auch miteinander überlegen die Projektmitarbeiter nach zwischenzeitlichen Lösungen – denn auch für uns gilt: Gemeinsam geht alles leichter!“

• Weitere Informationen erhalten Interessierte bei Diplom-Psychologe Klaus Henner Spierling von der Klinik für Kinder und Jugendliche, Sozialpädiatrisches Zentrum des Agaplesion Diakonieklinikums unter Telefon 04261/77-6850 und per E-Mail an h.spierling@diako-online.de.

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