Qualmann und Fiebach: Wie hilft Bewegung gegen Depression? - VON ANDREAS SCHULTZ

Gegen dunkle Riesen

Helga Fiebach, Übungsleiterin Kneipp-Verein Rotenburg, kennt sich aus mit Prävention im Gesundheitssport. Sie leitet den Kurs "Der Depression Beine machen".
 ©Schultz

Rotenburg – Etwas Bewegung gegen Depression: Auf den ersten Blick klingt das zu einfach, um wahr zu sein. Schnelles Gehen, Traben, Achtsamkeitsübungen und mehr: Das plant der Kneipp-Verein Rotenburg im Rahmen eines Projektkurses, um Betroffenen Hilfe zur Selbsthilfe zu bieten. Welche Rolle körperliche Ertüchtigung spielt, wie verbreitet Depression tatsächlich ist, das haben Initiatorin Dr. Christiane Qualmann und Kursleiterin Helga Fiebach dieser Zeitung verraten.

Die Angelegenheit ist ernst: Statistisch gesehen erkrankt fast jeder sechste Mensch im Laufe seines Lebens an einer Depression, für wiederum rund 15 Prozent der Betroffenen endet das tödlich, da sie sich das Leben nehmen. Das sagen die Zahlen des Bündnisses gegen Depression im Landkreis Rotenburg, in deren Vorstand Qualmann als Beisitzerin aktiv ist. „Frauen trifft es dabei öfter, im Alter von 18 bis 79 Jahren erkrankt jede Vierte, bei Männern dagegen nur jeder Achte. Bei den Frauen lässt sich das auch auf Lebensereignisse zurückführen, auf die Wechseljahre, auch auf durchstandene Geburten“, erklärt die Rotenburger Hausärztin. Allein in Deutschland leiden rund vier Millionen Menschen an einer Depression, heißt es auf der Internetseite des Bündnisses. Dabei könne die Dunkelziffer noch viel höher sein. Denn nicht immer kommt es bei Beschwerden auch zur Diagnose. „Entweder es wird nirgendwo gesehen – oder eben beim Hausarzt“, so Qualmann. Es könne jeden treffen. Das zu betonen, ist ihr wichtig. Doch genauso weiß sie, Depression ist gut behandelbar.

Anteilig zum Beispiel durch Selbsthilfe: Mit „Der Depression Beine machen“ bietet der Kneipp-Verein einen fünfteiligen Kurs an, der körperliche und psychische Gesundheit fördern soll. Die Ärztin ist fest überzeugt, dass sich Betroffene mit der Teilnahme ein wirksames Werkzeug im Kampf gegen die Krankheit mit den vielen Gesichtern zulegen. Depressive können mit einer Vielzahl von Symptomen zu kämpfen haben, sich niedergeschlagen, müde, wert- und antriebslos fühlen, sie können über Schlaflosigkeit, Libidoverlust, Kopf- oder Rückenschmerzen klagen, plötzlich interessen- und freudlos sein – nur eine Auswahl von Auswirkungen, die in vielseitiger Kombination auftreten können. Deren gefühlte Übermacht Betroffene in die Isolation treiben kann. Es ist ein dunkler Riese, den der Kneipp-Verein und das Bündnis da gemeinsam zu bekämpfen versuchen. Und die Pandemie, so viel ist klar, hat die Situation nicht verbessert: „Psychisch Kranke sind nicht gesünder geworden, im Gegenteil. Sie litten unter der Isolation, an der fehlenden Tagesstruktur. Viele Kontakt- und ambulante Therapiemöglichkeiten waren ausgesetzt. Die Symptomlast ist größer geworden“, weiß die Ärztin.

Und da kommt die Bewegungstherapie ins Spiel. Sie helfe bei Depressionen mit leichten bis mittelschweren Episoden – empfohlen ist Bewegung jedoch für alle. „Sie ist vorbeugend und sie hilft dabei, dass eine Depression nicht zurückkommt, wenn man mal eine hatte. Soziale Kontakte, Natur, Licht: Das sind alles Faktoren, die sich gegenseitig verstärken. Deswegen ist unser Gruppensport auch draußen und in der Natur, dort ist er besonders effektiv“, sagt Qualmann.

Regelmäßiger Sport verändert nicht nur den körpereigenen Hormonhaushalt positiv, er vermittelt Selbstwirksamkeit und fördert in Gruppenaktivitäten soziale Interaktion. Wichtig sei es, für einen langfristigen Effekt auch am Ball zu bleiben, sich regelmäßig zur Bewegung aufzuraffen – und das nicht nur zu den fünf Kursterminen, wie Kursleiterin Fiebach betont. Die festen Termine mit anderen schaffen Verbindlichkeit, man bleibt dann eher dabei. Aber: „Man muss dann auch selbst aktiv werden, nicht einfach auf die nächste Woche warten. Letztlich geht es um ein hohes Ziel: Sich auch dann von der Couch zu lösen, wenn man keine Lust hat“, sagt Fiebach.

Die Übungsleiterin hat Erfahrung mit Prävention im Gesundheitssport, der Schwerpunkt der ehemaligen Marathonläuferin ist Bewegung durch Ganzkörpertraining. Auch wenn sie mit Spitzenleistungen auf 42 Kilometern vertraut ist: Leistungsdruck gibt es keinen, der Fokus in dem von ihr geleiteten Kurs liegt auf anderen Dingen: Kreislauf aktivieren, Natur erleben, Alltag vergessen. „Zunächst geht es darum, die Sorgen, die einen sonst einfach nicht loslassen, bewusst zu parken. Wir werden erst mal abschalten“, erklärt Fiebach. Gelaufen wird nicht: Gehen, auch mal etwas schneller, ist geplant: „So wie es guttut“, sagt Fiebach. Bewegung als etwas Positives körperlich spüren und bewusst machen – gleichzeitig mental trainieren, Achtsamkeit und Imagination üben. Das sind ihre zentralen Themen. „Wie atmen wir, wie schreiten wir, was spüren die Füße? Wir wollen den Körper fühlen und uns für eine Weile von der Ratio verabschieden“, erläutert die Kursleiterin. Im besten Falle solle jeder Teilnehmer mit einem Erfolgserlebnis nach Hause gehen, mit dem wiederentdeckten Gefühl von Freude, etwas geschafft zu haben. Sich in der Natur zu bewegen, habe den Vorteil, auch die kleinen Veränderungen im Wandel der Jahreszeiten wahrzunehmen – und vielleicht einzusehen, nichts bleibt, wie es ist. Und im übertragenen Sinne: Auch die eigenen Krisen gehen vorbei. Details wirken.

Qualmann und Fiebach stellen klar: Jeder kann mitmachen: Betroffene, aber auch ihre Partner und Freunde. Es brauche keine ärztliche Bescheinigung, gleichzeitig brauche niemand die Sorge zu haben, sich mit seinen Problemen öffnen zu müssen. Wer möchte, kann sich mit anderen Teilnehmern austauschen, eine Pflicht dazu gibt es nicht. Es gehe um die Motivation zum Sport und die vielfältigen positiven Effekte, die Bewegung hat. Neben der positiven Wirkung bei Depression hilft sie gegen Übergewicht, Diabetes, Bluthochdruck, präventiv gegen Migräne und Asthma. Qualmann: „Es gibt eigentlich so gut wie keinen Grund, sich nicht zu bewegen, es sei denn, man erholt sich gerade von einem Herzinfarkt. Und es macht eben Spaß“.

Mehr Informationen zur Arbeit des Bündnis gegen Depression im Landkreis Rotenburg und einen Selbsttest gibt es unter buendnis-row.de. Das Kursangebot wird gefördert von der Deutsche Bahn Stiftung, der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und dem Deutschen Bündnis gegen Depression. Die anonyme Telefonseelsorge ist unter der Nummer 0800/1110111 rund um die Uhr für Menschen mit Suizidgedanken als Ansprechpartner erreichbar.

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