Neue Gedenktafel auf dem Friedhof in der Lindenstraße - Von Dennis Bartz

„Unschuldigste Opfer“

Eine Geschichtstafel informiert über das Schicksal von acht Kindern von Zwangsarbeiterinnen im Zweiten Weltkrieg. Lehrer Heinz Promann (rechts) und seine Schüler hatten das Schicksal der Opfer des Nationalsozialismus recherchiert. Foto: Dennis Bartz
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Rotenburg. Lydia Schestak wäre heute vermutlich eine ältere Dame, 73 Jahre alt, womöglich Mutter, Groß- und Urgroßmutter. Doch ihr war all dies nicht vergönnt, denn sie starb mit gerade einmal drei Monaten als Opfer des Nationalsozialismus im Rotenburger Krankenhaus. „Schlechtes Gedeihen, Mittelohreiterung“ hatten die zuständigen Ärzte damals handschriftlich als Todesursache im Begräbnisbuch vermerkt, dazu ihr Sterbedatum: 8. Februar 1945. Lange war Lydias Schicksal und das von weiteren 27 Kindern, die als Folgen bewusster Vernachlässigung und mangelnder Hygiene in der sogenannten „Kinderverwahranstalt“ Riekenbostel ums Leben kamen, ungeklärt. Nun haben sie wieder einen Namen und eine Geschichte – festgehalten auf einer 1,20 mal 1,60 Meter großen Gedenktafel auf dem Friedhof Lindenstraße in Rotenburg.

„Wer die Geschichte leugnet, hat keine Zukunft“, sagte Bürgermeister Andreas Weber bei der offiziellen Enthüllung am Montagmittag. Er dankte Heinz Promann, Geschichtslehrer am Beruflichen Gymnasium der BBS in Rotenburg, und dessen Schülern für ihre Archivarbeit und dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge für die Unterstützung.

Dessen Bezirksverbands-Geschäftsführer Jan Effinger erklärte: „Kinder sind die vorstellbar unschuldigsten Opfer.“ Es handele sich um Kinder von Frauen, die nach Deutschland verschleppt worden waren und dort gegen ihren Willen festgehalten wurden, um Zwangsarbeit zu verrichten. „Es gab insgesamt zehn Millionen Zwangsarbeiter in Deutschland“, erinnerte Effinger.

Die Gedenktafel solle künftig aufklären, erinnern, betroffen machen sowie Mahnung gegen das Vergessen sein und Anstoß geben, „uns ständig aktiv gegen Krieg und Gewalt einzusetzen“. Das Besondere an ihr sei, dass es kein Werk eines Heimatforschers oder Historikers sei, sondern das Werk Vieler: „Es ist die Arbeit von Schülern und ihrem Lehrer.“

Es sei wichtig, dass die Namen und Lebensdaten der Kinder, die den Ärzten zum Opfer fielen und auf dem Friedhof beerdigt wurden, dort aufgeführt sind, betonte Effinger: „Solche Namen und persönlichen Daten brechen die Anonymität der Gewalt des Leidens auf. Sie verdeutlichen wie ein Brennglas die menschenverachtende Grausamkeit des Nationalsozialismus.“

Es sei gerade jetzt wichtig, an die Ereignisse der Geschichte zu erinnern: „Ganz aktuell sind Frieden und Demokratie in Gefahr, weil politisches Desinteresse, Gewaltbereitschaft und Anfälligkeit für rechtsradikales, fremdenfeindliches Gedankengut zunehmen.“

Der Geschichtskurs des 13. Jahrgangs hatte sich Anfang des Jahres im Rahmen der Unterrichtseinheit „Geschichts- und Erinnerungskultur“ mit den „vergessenen Kindern des Friedhofs Lindenstraße“ befasst. „Die Babys waren Ende 1944 Anfang 1945 in Riekenbostel untergebracht. Ihre Mütter waren aus Polen und der Sowjetunion. Sie mussten auf Bauernhöfen im heutigen Südkreis arbeiten“, berichtete Promann.

Er war nach einem Gespräch mit dem Stader Heimatforscher Michael Quelle zunächst alleine auf Spurensuche gegangen und fündig geworden: „In Rotenburger Rathaus habe ich in einem Pappkarton Begräbnisbücher entdeckt, die das Schicksal der 28 Kinder preisgeben. Die Bücher hatte lange niemand mehr in Händen gehalten – wahrscheinlich waren sie sogar vergessen.“

Bei der Aufarbeitung der Daten und der Gestaltung der Gedenktafel habe er seine Schüler daraufhin ins Boot geholt: „In Niedersachsen gibt es bereits Dutzende solcher Tafeln zur Zeitgeschichte, dies ist aber die erste derartige Tafel im Südkreis.“

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