Rotenburg – Wer zur Einweihung in der Villa an der Rotenburger Bahnhofstraße 28 vorbeischaute, bekam von Praktikantin Tania Dittmer einen guten Wunsch in Form eines Steins mit auf den Weg – „Hoffnung“, „Zielstrebigkeit“ oder „Empathie“. Ein Besuch der umgestalteten Räumlichkeiten des neuen Trainingsbereichs der Heilpädagogischen Kinder- und Jugendhilfe Rotenburg zeigt: Genau diese Werte spielen eine große Rolle in den drei neuen Wohngruppen, in denen Jugendliche nach einem betreuten Leben stufenweise in die Selbstständigkeit entlassen werden.
Die alten Holzfußböden, renovierten Zimmer und geschmackvoll eingerichteten, einladenden Wohnzimmer der neuen Wohnbereiche im kernsanierten Gebäude, die den Besuchern bei der internen Einweihung zur Besichtigung offenstanden, strahlen vor allem eins aus: Geborgenheit. Insgesamt 17 Jugendlichen mit ganz unterschiedlichen, zumeist prekären Hintergründen, bieten sie ein temporäres Zuhause. Einige der Bewohner im Alter von 15 bis derzeit 24 Jahren kommen aus sozial schwierigen Verhältnissen, die einen Verbleib in der Familie ausschlossen, andere sind unbegleitete minderjährige Flüchtlinge oder brauchen emotionale Unterstützung. Die meisten wurden vorher schon in anderen Wohngruppen des Vereins betreut. „Wenn sie in die Freiheit entlassen werden, war da bis jetzt ein großes Loch“, beschreibt es eine Mitarbeiterin. Diese Lücke füllt der neue Trainingsbereich. Seit 2019 habe man an dem Konzept gebastelt, erzählt der ehemalige Teamleiter Assil Amin, es erprobt und adaptiert, „denn es sollte dem Team nicht übergestülpt, sondern von ihm mit getragen werden“.
Die Wohngruppe im Erdgeschoss beherbergt sechs Jugendliche. Handwerkliche, hauswirtschaftliche oder gärtnerische Angebote sollen feste Tagesstrukturen vermitteln und berufliche Perspektiven eröffnen, auch bekocht wird noch. Das ändert sich, wenn man ins erste Stockwerk und damit auf die zweite Stufe wechselt: Dort hat jeder Bewohner der zwei Vierer-WGs seinen eigenen Kühlschrank und verpflegt sich selbst. Wenn es mal nicht klappt, werden die „Careleaver“ aufgefangen. Das gilt auch für andere Angebote hier im Haus – fünf Therapiestunden sind vorgesehen, wer will, kann den therapeutischen Dienst weiter in Anspruch nehmen, etwa in Form von Lern- oder Kunsttherapie. „Ein Traum und längst nicht Usus, dass in einer Einrichtung gleich sechs festangestellte systemische Therapeuten beschäftigt sind“, weiß Elke Paul. Ihr Kollege Christian Roskothen, ebenfalls Kunsterzieher, erklärt, warum das so wichtig ist: „Jugendliche, die wir über Worte nicht erreichen, fällt es manchmal leichter, sich über Malen auszurücken“, meint er und zeigt auf das großformatige Werk eines somalischen Jungen. Auch bei den Bewohnern hat das neue Konzept positive Auswirkungen: „Viele bemühen sich, ihre vereinbarten Lernziele schneller zu erreichen, um in die nächste Etage ziehen zu dürfen“, meint Teamleiterin Marion Speerstra. Ziel ist das Dachgeschoss mit Einzelappartements, die letzte Stufe vor der Selbstständigkeit. Für den pädagogischen Vorstand Rainer Orban ist der neue Trainingsbereich auch aus volkswirtschaftlicher Sicht wichtig. Er betrachtet die Förderung nicht als Kosten, sondern als Investition: „Jeder hier hat eine Chance verdient, kein Kind ist schuldhaft in die Lage gekommen – nach vielen Jahren der Betreuung verdienen sie Unterstützung auch bei der letzten Hürde.“ Geglückte Beispiele gäbe es einige: Vom Jugendlichen aus Afghanistan, der inzwischen in einer WG wohnt und seine Ausbildung zum Metallbauer fast beendet hat, oder von dem Kind aus einer zerrütteten Familie, das sein Abi bestanden hat und hoffentlich auch den Mediziner-Eingangstest. Sie sind auf einem Weg – das Haus in der Bahnhofstraße 28 könnte bald vielen anderen einen ebensolchen Start ermöglichen. hey