In der Notaufnahme des Agaplesion Diakonieklinikums arbeiten alle Beschäftigten Hand in Hand - und zwar rund um die Uhr - Von Andrea Winterhalter

Schlaganfall vor Halsweh

Besprechung beim Schichtwechsel: Die Nachtschwestern übernehmen die Patienten von der Spätschicht.
 ©Andrea Winterhalter

Rotenburg. Ein Duftpotpourri aus Desinfektionsmitteln mit leichter Kaffeenuance liegt in der Luft der Notaufnahme des Agaplesion Diakonieklinikums in Rotenburg. Sandra Zähler, Assistenz-Ärztin für Innere Medizin, betritt einen der Behandlungsräume. Dort wartet eine 27-jährige Frau. Ihr Hausarzt hat sie mit Verdacht auf Herzinfarkt oder Herzmuskelentzündung mit einem Rettungswagen einliefern lassen.Rotenburg. Ein Duftpotpourri aus Desinfektionsmitteln mit leichter Kaffeenuance liegt in der Luft der Notaufnahme des Agaplesion Diakonieklinikums in Rotenburg. Sandra Zähler, Assistenz-Ärztin für Innere Medizin, betritt einen der Behandlungsräume. Dort wartet eine 27-jährige Frau. Ihr Hausarzt hat sie mit Verdacht auf Herzinfarkt oder Herzmuskelentzündung mit einem Rettungswagen einliefern lassen.

Die 30-jährige Ärztin, die Spätschicht hat, untersucht die Patientin gründlich und stellt präzise Fragen, um sich ein umfassendes Bild zu machen. „Die Symptome kamen ganz plötzlich“, schildert Cordula W.. „Ich hatte einen stark erhöhten Puls, Schmerzen in der Brust und Atemnot“, fährt die sie fort. Die Patientin wird zur Überwachung verkabelt und erhält eine Infusion. Zuvor werden von einer Schwester die Vitalwerte wie Blutdruck, Puls und Körpertemperatur im Patientenbogen eingetragen. Es wird Blut entnommen, das sofort zur Untersuchung ins Labor gebracht wird. „In drei Stunden müssen noch einmal die Herz-Enzyme kontrolliert werden“, ordnet Zähler an.

Im benachbarten Untersuchungsraum liegt ein Mann. Er ist desorientiert und wurde vom Rettungsdienst mit Bauchschmerzen gebracht. Nach der Untersuchung konstatiert Zähler: „Das ist ein Fall für den Urologen.“ Es ist Freitagabend. Das Thermometer außerhalb der Notaufnahme steht immer noch knapp über der 30 Grad-Marke. Heute war es bislang erstaunlich ruhig. Es ist 20 Uhr. Das Team, das für die Nachtschicht eingeteilt ist, trudelt ein. Die Krankenschwestern Janina Lünsmann und Lidia Altergott übernehmen die Patienten von Petra Schröder und Ulrike Pastak. Auch Sandra Zähler wird von ihrer Kollegin, der Assistenzärztin Flavia Ene, abgelöst. Die Stimmung im Team ist gut, das ist deutlich zu spüren. Entspannt, aber professionell verläuft die Übergabe. Heute bleibt noch Zeit für einige private Worte. „Wir haben schon sehr viel gemeinsam erlebt und durchgestanden, können uns aufeinander verlassen und sind wie eine Familie“, lächelt Ene. Vorbei ist die Ruhe. Ein Mann aus Bremen, der gerade beruflich in Rotenburg zu tun hat, wird in einen freien Untersuchungsraum der Notaufnahme gebracht. Er leidet an Luftnot und hat Orientierungsprobleme. Schwester Lidia kümmert sich um die Vitalwerte. „Ich habe stark geschwitzt und ein Druckgefühl im Brustbereich“, schildert der Bremer. Die Frage von Flavia Ene, ob der Schmerz in den linken Arm ausstrahle, verneint er. „Haben Sie genug gegessen und getrunken?“, forscht sie weiter. Hier liegt offenbar der Hase im Pfeffer. Einige Zeit später, nachdem der Patient Flüssigkeit zu sich genommen hat, geht es ihm deutlich besser. Seine Werte sind okay, er erhält den Entlassungsbericht und darf gehen. Die Notaufnahme ist im Prinzip ein langer Schlauch, von dem rechts und links viele Räume abgehen. An dem einen Ende sitzt die medizinische Fachangestellte Nadine Hasse und nimmt alle Patienten in Empfang, die selber in die Notaufnahme kommen. Am anderen Ende können die Rettungswagen direkt an die Tür fahren. Dicht dabei ist auch der Hubschrauber-Landeplatz. Das Telefon klingelt. Hasse meldet einen Patienten, der Schmerzen beim Luftholen hat. Lucas R. wird von seiner Freundin Lisa begleitet. Im Untersuchungszimmer läuft zunächst die Vitalzeichen-Routine der Nachtschwester an. „Ich habe seit Tagen Schmerzen im Brustbereich. Zuhause habe ich meinen Blutdruck gemessen. Der war sehr alarmierend“, schildert der 25-Jährige besorgt. Inzwischen ist auch Ene im Raum, die ihren Patienten gründlich untersucht und abhorcht. Sie findet heraus, dass Lucas R. Raucher ist, vor kurzem einen Infekt hatte und die Schmerzen im Brustbereich bereits seit zwei, drei Tagen seine Begleiter sind. Die Ärztin ordnet eine Blutentnahme, EKG und Röntgen an. Aktuell ist der Blutdruck okay. „Zunächst hatten wir beim Hausarzt angerufen. Dort lief ein Band mit der Ansage, in Notfällen die Telefonnummer 116117 zu wählen“, berichtet Lisa. Und fährt fort: „Dort waren jedoch alle Leitungen besetzt. Wir wollten nicht noch länger warten, deshalb sind wir hierher gekommen.“ Ihr Freund ergänzt erleichtert: „Ich fühle mich jetzt besser, weil ich unter Beobachtung stehe.“ Inzwischen wurde ein weiterer Patient in das Zimmer gebracht. Ein Sichtschutz wahrt die Privatsphäre. Alle Untersuchungsergebnisse sind unauffällig und Lucas R. darf mit der Aufforderung, sich bei seinem Hausarzt zu melden, nach Hause. Ein Anruf aus einem Notarztwagen geht ein. Eine alte Dame mit einer hypertensiven Entgleisung (plötzlicher und massiven Blutdruckanstieg) wird angekündigt. Die beiden Nachtschwestern arbeiten mit Ärztin Ene Hand in Hand. Die 91-Jährige ist zwar ansprechbar, aber ihr geht es nicht gut. Sie wird stationär aufgenommen. Mittlerweile ist es nachts und die Assistenzärztin hat fünf Patienten gleichzeitig zu betreuen. „Es ist immer noch ungewöhnlich ruhig hier“, äußert sie, während sie ein Röntgenbild am Computer analysiert. Die Herzenzym-Kontrolle und die Blutwerte von Cordula W. waren nicht befriedigend. Flavia Ene schaut sich die Befunde gründlich an. Die Schilddrüsenwerte sind auffällig. Durch gezielte Fragen findet sie heraus, dass in der näheren Verwandtschaft auch Schilddrüsenerkrankungen vorkommen. „Die Beschwerden haben eine ähnliche Symptomatik wie ein Herzinfarkt“, erklärt sie der 27-Jährigen. Die Patientin wird stationär aufgenommen, damit eine umfassende Diagnostik erfolgen kann. „Ich bin ganz froh, dass ich bleiben darf. Hier fühle ich mich einfach sicherer. Zudem ist mir eine Schilddrüsenerkrankung lieber als ein Herzinfarkt“, sagt sie erleichtert. Zu fortgeschrittener Stunde wird Claudia M. von ihrem Mann gebracht. Sie hat Oberbauchschmerzen. Im Untersuchungsraum durchläuft sie zunächst wieder die bewährte Vitalzeichen-Routine der Schwestern. Flavia Ene versucht im Gespräch herauszufinden, welche Ursachen die Schmerzen haben könnten. „Meine Schwester hat heute die erste Erdbeertorte ihres Lebens gebacken. Eigentlich vertrage ich keine Erdbeeren, aber ich wollte sie nicht vor den Kopf stoßen und so habe ich ein Stück davon gegessen“, berichtet die 56-Jährige. „Dass ich meinen Oberkörper beim Putzen verdreht habe, könnte auch noch eine Ursache für die Schmerzen sein“, fällt ihr ein. Die Assistenzärztin untersucht die Organe per Ultraschall. Sie hat Verständnis für die Angst der Patientin, die im Hause bekannt ist und eine umfangreiche Vorgeschichte hat. „Ich hatte bereits drei Schlaganfälle mit Multiorganversagen und einen Herzinfarkt“, berichtet sie. Nach umfassenden Untersuchungen kann Entwarnung gegeben werden und Claudia M. darf nach Hause. Vermutlich waren doch Erdbeeren der Auslöser. In der Notaufnahme herrscht nun ein ständiges Kommen und Gehen. Spät in der Nacht landen ein paar mitgebrachte Köstlichkeiten auf dem Tisch im Schwesternzimmer. Jeder greift zwischendurch mal schnell in die Schalen mit dem Naschwerk. Nervennahrung. Nadine Hasse hat am Empfang vor der Notaufnahme alle Hände voll zu tun. Diverse Patienten hat sie direkt auf die entsprechenden Stationen geschickt. Darunter eine Schwangere in den Kreißsaal und 14 Kinder auf die Kinderstation. Sechs kamen mit Platzwunden, eines mit geschwollenem Gesicht und sieben mit Fieber und Erbrechen. Ein weiteres Kind musste in die HNO-Abteilung, weil es sich eine Nuss in die Nase gesteckt hatte. Andere Hilfesuchende schickt sie direkt in die Notaufnahme. Auf die Frage, ob es gelegentlich Probleme mit Patienten gäbe, antwortet sie: „Es passiert schon mal, dass sich Menschen ärgern und laut werden, wenn sie das Gefühl haben, dass sie länger warten müssen weil andere vorgezogen werden. Aber hier muss nach medizinischer Dringlichkeit gearbeitet werden.“ Im Prinzip: Schlaganfall vor Halsweh. Nun wird ein Patient gebracht, der eindeutig ein psychiatrischer Notfall ist. Schwester Janina ruft den Facharzt an, der Bereitschaftsdienst hat. Zeitgleich kommt ein Rettungswagen mit einer Person in bedrohlicher Luftnot. Diesem Patienten, der eine schwere Krebsdiagnose hat, geht es gar nicht gut. Janina, Lidia und Flavia kümmern sich um ihn. Alles läuft sicher und routiniert. Hand in Hand. Hier endet die Reportage aus der Notaufnahme. Nicht alles kann für die Öffentlichkeit berichtet werden, denn hierher kommen Menschen, die sich in Not- oder Extrem-Situationen befinden. Um ihnen zu helfen, arbeiten hier Menschen oft extrem schnell, extrem konzentriert und extrem belastet. Die Rundschau-Mitarbeiterin fährt nach Hause. Für das Nachtschicht-Team geht der Dienst noch dreieinhalb Stunden weiter. Es ist eine (fast) ruhige Sommernacht. Alle Patientennamen und Wohnorte wurden von der Redaktion geändert. **************************************** 32.000 Notfallpatienten im Jahr Das Zentrum für Notfallmedizin des Agaplesion Diakonieklinikums ist die erste Anlaufstelle für akut erkrankte oder verletzte Patienten. Unzählige Menschen verdanken dieser Einrichtung ihr Leben. Die Aufgabe des dort beschäftigten Personals ist es, lebensbedrohende Zustände zu erkennen und zu therapieren. Zudem werden im Bedarfsfalle weitere Untersuchungen eingeleitet oder die gezielte Zuweisung der Patienten in die einzelnen Fachkliniken veranlasst. Dr. Oliver Fröhlich ist Anästhesist. Seit 1998 ist er im Hause beschäftigt und seit Februar 2014 Ärztlicher Leiter der Notaufnahme. Fröhlich liebt seinen Beruf und ist mit Engagement und Herzblut bei der Sache. In seiner Funktion muss er sich ständig mit einem ernsten Problem beschäftigen: Die Finanzierung der Notaufnahme ist in einer Schräglage. „Insgesamt hat das Diakonieklinikum etwa 32.000 Notfallpatienten im Jahr“, teilt der 49-Jährige mit. „Ein Patient kostet, laut Gutachten der DGINA, der Deutschen Gesellschaft Interdisziplinäre Notfall- und Akutmedizin, im Schnitt 120 Euro. Von der kassenärztlichen Vereinigung erhalten wir lediglich 32 Euro, auf der Differenz von 88 Euro bleiben wir schlichtweg sitzen.“ Ein anderes ständig gegenwärtiges Problem ist, dass immer mehr Patienten ohne Not, also ohne ernsthafte akute Erkrankung oder Verletzung, die Notaufnahme aufsuchen. „In solchen Situationen sollte der diensthabende hausärztliche Notdienst vor Ort aufgesucht werden, aber nicht die Krankenhaus-Notaufnahme." Fröhlich appelliert: „So wird Platz und Personal für echte Notfälle blockiert. Zudem entstehen für die Krankenkassen deutlich höhere Kosten.“ Nachdrücklich betont der Notfallmediziner: „Wir sind gern für die Patienten da und würden niemals einen Menschen einfach wieder wegschicken – allerdings sollten diejenigen, die zu uns kommen auch tatsächlich in Not sein."

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