Fachkräfte: Auslaufen der Sprach-Kitas „eine Katastrophe“

Das Ende der Schlüsselkinder

Für sie ist das geplante Aus des Sprach-Kita-Programms nicht weniger als eine Katastrophe: Majbritt Kremo (l.) und Jasmin Dreyer mahnen an, dass die Politik bei den Kindern spart u2013 und damit am falschen Ende. Foto: Schultz
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VON ANDREAS SCHULTZ

Rotenburg – „Sprache ist der Schlüssel zur Welt – und die Voraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe und einen erfolgreichen Bildungsverlauf“, schreibt das Bundesfamilienministerium auf seiner Internetseite zum Programm Sprach-Kitas. Warum das Ministerium diesen Schlüssel nun wieder einziehen will, um beim Bild zu bleiben, ist Majbritt Kremo und Jasmin Dreyer ein Rätsel. Das Programm, von dem allein in Rotenburg zwei Einrichtungen profitieren, soll zum Jahresende auslaufen. Die Fachkraft für sprachliche Bildung und die Fachberatung Sprach-Kitas sind entsetzt. „An den Kindern zu sparen, ist der falsche Weg“, sind beide fest überzeugt.

Je eine halbe Stelle für Fachkräfte kann eine Sprach-Kita finanzieren, zwei Kitas teilen sich eine Fachkraft. Diese bringt das Wissen rund um die Sprache in die Kita. Im Rahmen von Dienstbesprechungen mit den Erziehern vermitteln sie Themen rund um die Kommunikation. „Wir sehen uns als Bindeglied zwischen dem Team und den Leitungen“, verrät Kremo. Die Fachkräfte wiederum werden von den Fachberatern wie Jasmin Dreyer geschult. Letztere sind auch für die wissenschaftliche Begleitung zuständig und haben ihre Quellen beim Zentrum für Professionalisierung der Elementarpädagogik (PEP) der Uni Graz. Die Liste der Themen, die das Gespann in den vergangenen Jahren der Förderung vermittelt hat, ist lang. Sie umfasst Kommunikation und Kommunikationsstile, alltagsintegrierte sprachliche Bildung, aber auch Rassismus und Konfliktmanagement, um nur einige zu nennen. Dass Sprache ein weites Feld ist, das sich nicht allein aufs Sprechen bezieht, machen Themenfelder wie Adultismus deutlich: Die Tendenz, in der Interaktion das Kind herabzuwürdigen und dabei mit sprachlichen Mitteln Macht zu demonstrieren, ist eine Sache, für die die Fachkräfte sensibilisieren. „Das machen viele auch oft unbewusst. Zum Beispiel mit Sätzen wie: „Du schon wieder“ oder „Nur wegen dir“, verdeutlicht Dreyer. Mit Vermittlungsarbeit wie dieser wird aber voraussichtlich mit Jahresende Schluss sein.

Das Gefühl, hintergangen worden zu sein, ist bei den Betroffenen groß. Da ist zum Einen, dass der Ausbau des Bundesprogramms eigentlich Teil des Koalitionsvertrags ist. Dass das Familienministerium sich nun davon abwendet, ist für Kremo und Dreyer ein Stück weit Betrug am Wähler: „Der eine oder andere hätte sicher sein Kreuz anderswo gesetzt, wäre das vorher klar gewesen“, macht Kremo deutlich.

Und dass die Verkündung des voraussichtlichen Aus’ in die Sommerpause fällt, hat aus Sicht der beiden einen faden Beigeschmack. Aber auch darüber hinaus könne das Timing kaum schlechter sein: Der Flüchtlingszuzug seit 2015 mache die Arbeit der Fachkräfte umso dringlicher, genauso die Folgen des Kriegs in der Ukraine und der Pandemie. Gerade in der Rotenburger Kinderarche sei das Wirken der Fachkräfte wichtig, weil 98 Prozent der dortigen Kinder einen Migrationshintergrund hätten. „Das Programm jetzt einzustampfen, ist eine Katastrophe“, fasst Kremo zusammen. Natürlich hänge die berufliche Zukunft der beiden von der Fortsetzung des Programms ab, „aber wir können andernorts eingesetzt werden. Es geht um die Kinder, es wird bei den Schwachen gespart. Und das macht mich einfach wütend“, macht die 47-Jährige deutlich. Sie fügt hinzu: „Die Probleme in den Kitas und im Schulbereich nehmen zu. Wir können in den Kitas ansetzen, wir haben die Zeit und Möglichkeit, uns früh mit diesen Problemen auseinanderzusetzen.“

Könnten nicht die Länder Programm und Finanzierung übernehmen? Für Kremo und Dreyer ist das keine Option: Im Flickenteppich der unterschiedlichen Herangehensweisen würden die auf Bundesebene geschaffenen Netzwerke zerbrechen, befürchten sie. „Wie das jetzt gerade läuft, ist es einfach unausgegoren. Wir brauchen mindestens ein Übergangsjahr“, findet Dreyer. Ob noch ein guter Kompromiss kommt oder eben nicht: Der Schaden ist bereits angerichtet. Für Kremo ist das angekündigte Auslaufen des Programms eine Schlappe für alle Beteiligten im Berufsstand Erzieher: „Das zeigt die Geringschätzung für die Arbeit. Die Qualität sinkt damit, der Beruf wird schlecht bezahlt – und wenn dann noch wie hier Leistungen wegbrechen, ist es kein Wunder, dass keiner mehr nachkommt.“

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