VON TOM GATH Rotenburg – Von der Krankenpflegerin zur Schulleiterin: Die Karriere von Dorothea Siebenand ist ein gutes Beispiel für die vielfältigen Berufswege, die auf eine Ausbildung zur Pflegefachfrau folgen können. Ab dem 1. November übernimmt sie die Leitung der Berufsfachschule Pflege am Agaplesion Diakonieklinikum Rotenburg. Und das sogar in Teilzeit, denn das Thema der Vereinbarkeit von Familie und Beruf hat längst auch die Pflegebranche erreicht. Die 37-Jährige kennt die Ansprüche der neuen Generation von Pflegekräften also auch aus eigener Erfahrung. „Für die Generation-Z spielt die Work-Life-Balance eine immer wichtigere Rolle. Dem wollen wir schon in der Ausbildung gerecht werden, indem individuelle Bedarfe jederzeit geäußert werden können“, sagt Siebenand mit Blick auf ihre Schwerpunktsetzung als zukünftige Schulleiterin. Das andere große Thema, was sie angehen will, ist die Digitalisierung. Dabei spielt nicht nur die digitale Ausstattung der Klassenräume oder die Bereitstellung von Tablets eine wichtige Rolle. Auch das Online-Marketing will Siebenand ausbauen, um potenzielle Bewerber dort anzusprechen, wo sich ein großer Teil ihres Lebens mittlerweile abspielt. Die schönen Seiten des sinnstiftenden Pflegeberufs sollen so in den Vordergrund gerückt werden.
Denn der Fachkräftemangel – viele sprechen gar von einem Pflegenotstand – sei auch am Rotenburger Diako deutlich spürbar, erklärt der Theologische Direktor der Klinik, Lars Wißmann. Die drei Mal im Jahr startenden Klassen mit rund 25 Schülern sind in den letzten Jahren immer voll gewesen. Für die nächste Kohorte, die am 1. Oktober startet, gibt es immer noch freie Plätze. Die auch öffentlich vielfach sichtbare Überlastung der Pflegekräfte während der Coronapandemie hätten viele Interessenten abgeschreckt, vermutet Wißmann. Er räumt aber auch ein, dass die Belastung auch vor der Pandemie schon sehr hoch war: „Das Krankenhaussystem beruht auf der strukturellen Ausbeutung von Menschen, die ein großes Herz haben. Die Ökonomisierung erhöht den Druck auf die Mitarbeiter. Häufig werden zusätzliche Aufgaben übernommen, um die Patienten nicht im Stich zu lassen.“ Die Vergütung von medizinischen Leistungen pro Behandlungsfall, unabhängig vom tatsächlichen Aufwand – die sogenannten Fallpauschalen – seien ein Grund für diese strukturellen Überlastungen. Eine bundesweite Regelung, an der das Rotenburger Diako wenig ändern kann.
Das Krankenhaus versuche daher, mit anderen Mitteln die Attraktivität der Pflegeberufe zu steigern: ein Tarifvertrag für Pflegekräfte mit zahlreichen Zulagen, die Einführung von Zwischendiensten zur Flexibilisierung der Arbeitszeiten, eine vergleichsweise gut bezahlte Ausbildung und natürlich die Einstiegsmöglichkeit in ein breites Berufsspektrum. „Ausgebildete Pflegefachfrauen und -männer haben viele Möglichkeiten und können ihre individuellen Interessen verfolgen. Der Beruf ist so facettenreich, da ist für jeden etwas dabei“, beschreibt Siebenand ihre Faszination für das Berufsbild. Die veränderte Struktur der Pflegeausbildung soll zu diesem Facettenreichtum beitragen. Seit 2020 werden die früher getrennten Bereiche der Kinder-, Alten- und Krankenpflege in einer generalistischen Pflegeausbildung zusammengefasst. Während Kritiker eine mangelnde Spezialisierung, zum Beispiel auf die Bedürfnisse dementer Menschen, bemängeln, sehen Wißmann und Siebenand hier große Chancen. In der generalisierten Pflegeausbildung könne man alle Bereiche kennenlernen und müsse sich erst nach der Ausbildung für ein konkretes Feld entscheiden. Zudem sei eine individuelle Spezialisierung auch während des generalistischen Programms durch die Wahl der praktischen Einsätze möglich. Die theoretischen Anteile der Ausbildung sind in etwa gleich groß wie der praktische Teil. Gelernt wird die Praxis bei Partnern der Schule vom gemeinsamen Ausbildungsverbund, also etwa bei Ambulanten Pflegediensten oder in Altenpflegeheimen, und natürlich im Diako Krankenhaus direkt neben der Schule. Als Maximalversorger bietet das Krankenhaus ein sehr breites Spektrum an medizinischen Versorgungsbereichen und die angehenden Pflegekräfte können überall reinschnuppern. Gemeinsam mit den Schülern werden individuelle Ziel- und Lernvereinbarungen getroffen, um so die persönlichen Stärken zu fördern. Ein besonderer Fokus liege dabei auf Kommunikation, wie Siebenand erläutert: „Pflege ist Vertrauensarbeit. Gerade im Krankenhaus ist oft nur wenig Zeit, ein Vertrauensverhältnis aufzubauen, weil die Patienten meist nur kurzzeitig behandelt werden. In unserem Curriculum ist Kommunikation deshalb immer wieder Thema. Auch der Umgang mit Angehörigen soll an unserer Schule vermittelt werden.“ Siebenand ist seit 2017 an der Rotenburger Schule als Lehrkraft tätig. Zuvor hat sie in verschiedenen Krankenhäusern gearbeitet, unter anderem als Pflegeleitung der chirurgischen Abteilung einer Bremer Klinik. Parallel zu ihrer Lehrtätigkeit in Rotenburg hat sie letztes Jahr ihr pflegewissenschaftliches Studium abgeschlossen. Den Grundstein für diese Laufbahn hat Dorothea Siebenand vor genau 20 Jahren gelegt: mit dem Beginn einer Pflegeausbildung.