Rainer Behrens lebt als Ho Wakan nach den

Indianer aus Überzeugung

Ho Wakan unter dem Gerüst der Schwitzhütte. Das Gerüst besteht aus Weidenzweigen. Früher wurde es mit Bisonhäuten eingedeckt, heute nimmt man Wolldecken.
 ©Karen Bennecke

Rotenburg/Rethem. Eine feierliche Krönung ist immer etwas Besonderes: Kaiser ließen sich die Kopfbedeckung von Päpsten auf das Haupt setzen, Könige gern von Bischöfen. Wenn am Sonntag die neue Kartoffelkönigin im Rahmen des Rotenburger Kartoffelmarkts ihre Regierungsinsignien empfängt, setzt ein anderer dem Ganzen im wahrsten Sinne des Wortes die Krone auf: nämlich Ho Wakan, ein deutscher Indianer vom Stamm der Sioux.

Er lebt seit sechs Jahren am Rande des beschaulichen Dörfchens Rethem-Moor und pflegt dort indianische Werte und Bräuche. Schon als Kind spürte Ho Wakan, der mit bürgerlichem Namen Rainer Behrens heißt, eine starke Verbundenheit mit der Natur und der Tierwelt um ihn herum. „Die Bäume waren für mich ebenso lebendig wie die Tiere“, erinnert sich der gebürtige Oldenburger. „Meine Familie tat das aber damals als kindliche Spielerei ab.“

Inspiriert durch die Erzählungen eines Kollegen, der auf seinen Reisen durch Kanada Indianer-Reservate kennengelernt hatte, begann er als junger Mann, sich intensiv mit der indianischen Kultur zu beschäftigen. Was er dabei erlebte, war weniger ein Kennenlernen von etwas Neuem als ein Wiedererkennen: „Mir wurde bewusst, dass meine Ansichten komplett indianisch sind“, erzählt Behrens. „Ich habe mich selbst in dieser Kultur gefunden und bin den Weg dann konsequent weitergegangen.“ Bei einer privaten Veranstaltung lernte er eine indianische Familie vom Stamm der Oglala-Sioux kennen, die ihn bald darauf in einer feierlichen Zeremonie in ihren Familienclan aufnahm. Aufgrund der besonderen Kraft seines indianischen Gesangs gaben sie ihm den Namen „Ho Wakan“, auf Englisch „Spirit Voice“ („Stimme des Geistes“). Ein Jahr lang war er außerdem Schüler eines Schamanen vom Stamm der Cree, der ihn in traditionellen Zeremonien und heiligen Ritualen unterwies.

Als anerkanntes Mitglied der indianischen Gemeinschaft darf er inzwischen sogar bei den Powwows genannten kulturellen Veranstaltungen, zu denen Indianer aus dem In- und Ausland anreisen, die traditionellen Tänze mittanzen. „Das ist eine große Ehre für mich“, sagt der ehemalige Polizist.

Ursprünglich seien Powwows Stammesfeste gewesen, zu denen man zusammenkam, um Rat zu halten, zu Gericht zu sitzen und vieles mehr. „Auch heute sind Powwows keine reinen Volksfeste, die nur der Unterhaltung dienen“, erklärt Ho Wakan. „Es geht darum, den gemeinschaftlichen Geist zu stärken, außerdem hat vieles, was dort stattfindet, einen spirituellen Hintergrund. Es heißt, Tanzen ist Beten, Beten ist Leben und Leben ist Tanzen.“ Deshalb werde bei echten Powwows die Teilnahme von Nicht-Indianern, die lediglich das Leben der früheren Indianer nachspielen wollen, nicht gern gesehen.

Auch Indianerklubs und Westernvereine sieht Ho Wakan kritisch: „Da tun sich Freizeitindianer zusammen und spielen ohne jeden Respekt heilige Zeremonien nach, teilweise auch noch unter Alkoholeinfluss, ohne das geringste Wissen über den spirituellen Inhalt der Rituale.“ Das gehört sich nicht, findet er: „Eine Religion spielt man nicht.“ Auch Bemerkungen wie „Können Sie mal ein bisschen ,Heya Heya‘ machen?“ oder „Ey Winnetou, Bad Segeberg liegt aber woanders“ kann er nicht mehr hören. Ihm ist wichtig, dass die indianische Kultur ernst genommen und nicht auf realitätsferne Klischees aus Winnetou- und Westernfilmen reduziert wird.

Wenn Behrens gefragt wird, ob er ein echter Indianer sei, sagt er „Ja“. Für ihn sei es kein Spiel, kein Verkleiden. „Um es anderen Menschen verständlich zu machen, sage ich oft, dass ich konvertiert bin.“ Der 50-Jährige versteht sich als Botschafter der indianischen Kultur und hat für sich einen Weg gefunden, wie er diese Weltanschauung authentisch leben und weitergeben kann. An der Oberschule Hodenhagen beispielsweise bietet er eine wöchentlich stattfindende Indianer-AG an und veranstaltet ein Mal im Jahr eine Projektwoche für interessierte Schüler.

Auch zu einer für ihn eher ungewöhnlichen Aktion wie der Krönung der Kartoffelkönigin ist er gerne bereit: „Da die Kartoffel indianischen Ursprungs ist, ist es für mich eine Ehre, diese Aufgabe zu übernehmen.“ Dass es überhaupt so etwas wie eine Kartoffelkönigin gibt, empfindet Ho Wakan als Ausdruck von Achtung dem Lebensmittel gegenüber – und das sei ein zentrales Prinzip der indianischen Weltsicht: „Die Indianer sehen das Leben als Kreis, in dem alles, was lebt, seinen gleichberechtigten Platz hat – das Volk der Menschen, das Volk der Tiere, das Volk der Pflanzen und das Volk der Steine“, erklärt er. „Heute lebe ich mein Leben dankbarer, bewusster, aufrichtiger und konsequenter als früher, in dem Bewusstsein, dass ich nur ein Teil des großen Ganzen bin und wie unendlich viele andere Teile es gibt.“ Aus dieser Anschauung erwachse die Achtung vor der gesamten Schöpfung. Ho Wakan: „Wenn alle Menschen so dächten, gäbe es keinen Raubbau an der Natur.“ Dieses Verständnis unseres Lebensraums als Mutter Erde habe ihn sofort angesprochen, so der deutsche Indianer. „Schließlich werden wir von der Erde wie von einer Mutter getragen, genährt, beschützt und getröstet. Alles, was wir zum Leben brauchen, bekommen wir von ihr.“

Die Spiritualität ist für Ho Wakan jeden Tag präsent: „Aus indianischer Sicht gehört sie ebenso zum Leben dazu wie Hunger, Schlafen und Atmen.“ Seine Dankbarkeit – für Essen, gute Gespräche, Sonnenschein und Regen – drückt er in täglichen Gebeten aus, außerdem gehören verschiedene indianische Rituale wie das Räuchern mit weißem Salbei zu seinem Tagesablauf. „Damit reinige ich mich von Stress, Konflikten und negativen Gedanken“, erklärt er. Auch die Schwitzhütte diene der ganzheitlichen Reinigung und Heilung, darüber hinaus aber auch der Sinnfindung: „Manche Menschen bekommen intuitiv Antworten und Wegweisungen auf Fragen, bei anderen lösen sich Gefühlsblockaden.“ Ho Wakan schätzt die tiefgehende Wirkung dieser uralten, heiligen Zeremonie, die er nach intuitiv wahrgenommenem Bedarf in der selbstgebauten Schwitzhütte in seinem Garten durchführt. Das Gerüst besteht aus Weidenzweigen – „die Weide steht für Schmerzlinderung und Wundheilung“ –, die früher mit Bisonhäuten eingedeckt wurden, heute nimmt man Wolldecken. „Dadurch entsteht ein höhlenartiger, stockfinsterer Raum, der mit glühenden Steine erhitzt wird. Die Steine werden mit Wasser abgelöscht und mit Kräutern bestreut, dann werden Gebete gesprochen und Lieder gesungen“, beschreibt er die Zeremonie. Einer seiner Lehrer, der Indianer Stormy Reddoor, habe die Kuppel der Schwitzhütte mit dem Leib einer schwangeren Frau verglichen: „Wir begeben uns in den Bauch von Mutter Erde und können dort, beschützt, behütet und geborgen, alle unsere Sorgen loslassen. Wenn der Prozess zu Ende ist – und er dauert, so lange er dauert – kommen wir wie neugeboren heraus.“

Es dauert, so lange es dauert – diese Formulierung beschreibt ein „Indian Time“ genanntes Element der indianischen Philosophie. Ho Wakan: „Die Dinge werden nicht zu einem festgelegten Zeitpunkt getan, sondern dann, wenn sie ,dran‘ sind.“ Das gelte auch für spirituelle Rituale, für die es keine Zeitvorgaben gebe. „Indianer glauben an Fügung, an den vorbestimmten Lauf des Lebens.“ Deshalb sei Intuition, ein Gespür für den richtigen Zeitpunkt, wichtiger als ein Zeitmesser. „Ein Gespräch beginnt, wenn es soweit ist und endet, wenn es fertig ist – das können zehn Minuten oder drei Stunden sein.“

Ein traditionelles Tipi sucht man in Ho Wakans Garten übrigens vergeblich, denn das baut er nur zu besonderen Gelegenheiten auf – aus pragmatischen Gründen, wie er erklärt: „Der aus Baumwolle bestehende Stoff würde bei der Witterung hier ohne tägliches Bewohnen und Beheizen bald schimmeln.“ Dafür hat er in seinem Haus ein „Indianerzimmer“ eingerichtet, das mit praktischen und rituellen Gegenständen des indianischen Alltags angefüllt ist. Ein Bärenfell, eine große Powwow-Trommel, ein Trachtenhemd für festliche Anlässe und ein Dance Bustle – ein imposanter Schmuck aus Bussardfedern, der beim Tanzen auf dem Rücken getragen wird – fallen als erstes ins Auge. Es gibt auch einen kleinen indianischen Altar, denn: „Jeder Indianer hatte seinen eigenen Altar im Tipi.“ Außerdem hängen Ketten, Tanzstäbe, Rasseln, zahlreiche Beutel mit Tabak- und Kräutern, Pfeifen und Flöten an der Wand. Die meisten Gegenstände hat Ho Wakan selbst angefertigt, einige wurden ihm geschenkt oder verliehen. Manche davon gelten den Indianern als heilig: „Die Trommel stellt den Kreis des Lebens und den Herzschlag von Mutter Erde dar. Es heißt, dass der Geist, der in einer Trommel steckt, durch das Trommeln und Singen geweckt wird und alle Gefühle, die in diesem heiligen Kreis entstehen, vereinigt und auf diese Weise alle Menschen gleich sein lässt.“ Pfeifen wiederum seien heilig, weil sie die Ahnen verkörperten, erklärt Ho Wakan: „Der Rauch aus der Pfeife ist der Atem der Ahnen und trägt meine Gedanken nach oben in die geistige Welt.“

Wann immer er den Impuls spürt, trommelt und singt Ho Wakan oder greift zu seiner Flöte. „Es ist eine Art Meditation, die emotional befreit und energetisch klärt. Hinterher geht es mir immer besser.“ Wie zum Beweis spielt er ein indianisches Lied mit seiner Flöte, dessen Melodie zu Herzen geht und zugleich entspannt. „Es besingt die Kraft und die Liebe der gesamten Schöpfung“, sagt er.

Für alle, die mehr über die indianische Kultur wissen möchten, hat Ho Wakan ein „Indianer-Telefon“ (05165/5950004) eingerichtet: „Menschen, die ehrlich an den Bräuchen, Werten und der Spiritualität der Indianer interessiert sind oder auf der Suche wie ich früher, sind mir immer willkommen.“

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