VON PETRA HOLTHUSEN Posthausen – „Wir sind drauf und dran, uns selbst abzuschaffen“, sagt Heiko Kedenburg bitter. So langsam müsse sich Deutschland entscheiden, ob es seine Landwirte noch will oder nicht. Die Situation sei einfach „scheiße“. Steigende Auflagen und Restriktionen, dazu Lebensmittelpreise, die die Erzeugerkosten nicht decken – Bauern- und Landfrauenverbände sehen Landwirte aktuell in Existenznöten von nie gekanntem Ausmaß. Heiko Kedenburg bestätigt das.
Mit seiner Frau Birte führt der 42-Jährige den Hof der Familie in Hintzendorf-Stellenfelde in dritter Generation. Bei jedem Schwein, das sie für die Fleischproduktion züchten und hochpäppeln, legen Kedenburgs Geld dazu. Ohne das zweite Standbein Selbstvermarktung im Hofladen hätte „Kedenburgs Schweinerei“ wohl schon aufgeben müssen. So wie andere zuvor: „Wir sind die letzten Sauenhalter im Flecken Ottersberg“, sagt Kedenburg. Wie lange noch? Der Landwirt, der den Hof 2010 von seinen Eltern übernommen hat, zuckt die Achseln. Wenn die Politik nicht bald Rahmenbedingungen schaffe, die Landwirten und ihren Familien ein Auskommen sichern, müsse er die Tiere abschaffen und anderswo arbeiten gehen.
Der Familienbetrieb Kedenburg ist ein Beispiel für die angespannte wirtschaftliche Situation in der Landwirtschaft. Es klafft eine Lücke zwischen hohen gesellschaftlichen Anforderungen an die landwirtschaftliche Produktion einerseits und der Bereitschaft zu einer angemessenen Preisgestaltung andererseits. Das in der Folge unausweichliche Höfesterben wird in Zeiten multipler Krisen noch beschleunigt durch Tierseuchen, Ukraine-Krieg, Klimawandel und galoppierende Inflation. Wie groß die Not ist, erlebt Sonja Otten, studierte Agrarwirtin und landwirtschaftliche Unternehmensberaterin, Woche für Woche bei ihrer Tätigkeit in der Landberatung. Otten kommt selber vom Hof und engagiert sich im Präsidium des niedersächsischen Landfrauenverbandes für die Belange der Landbevölkerung. Sie kennt die existenziellen Sorgen und Ängste von Landwirten: „Sie werden neue Wege finden müssen, um zu überleben.“ Die in Brüssel und Berlin gemachte Politik trage dazu nicht bei: Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir höre den Bauern nicht mal zu, weiß Otten von Veranstaltungen in Berlin. Landwirte aus dieser Region schließen sich regelmäßig den Treckerprotestfahrten in die Hauptstadt an oder auch wie zuletzt in die Niederlande zur Unterstützung der dort demonstrierenden Berufskollegen. Politisch verordnete Flächenstilllegungen und CO2-Reduktion, Verbote von Pflanzenschutzmitteln und Vorgaben zur Düngung, Biodiversitätsplan und Wasserstrategie – massive Eingriffe „gefährden den Fortbestand unserer Betriebe“, sagt die Organisation „Land schafft Verbindung“, in der auch Heiko Kedenburg solidarisch vernetzt ist. Für die sinkende Zahl der Schweinehalter kommt – neben den existenzbedrohend gefallenen Fleischpreisen – noch das Reizwort Tierwohl dazu. „Verbraucher fordern pauschal Tierwohl, aber sie wissen gar nicht, wie die Tiere gehalten werden“, sagt Sonja Otten. Rinderlaufställe seien ja noch einsehbar, aber Geflügel- und Schweinehalter, deren Ställe aufgrund der Hygienevorschriften nicht betreten werden dürfen, seien in Sachen Transparenz „die Gelackmeierten“. Kedenburgs haben schon vor Längerem Guckfenster geschaffen, um ihren Kunden die Schweinehaltung zu zeigen. „Wir wollen doch selber, dass es den Tieren gut geht“, sagen sie. Und Birte Kedenburg, die den Hofladen managt, ist zufrieden, wenn Kunden sagen: „Mit der Haltung kann ich leben.“ Aufklärung und Kommunikation seien das A und O für die Direktvermarktung. Die Duroc-Herde, deren Fleisch Kedenburgs selbst auf dem Hof vermarkten, halten sie im Strohstall und in Outdoorhütten. Zu fressen gibt’s selbst angebautes Getreide. Die Tiere dürfen langsam wachsen und werden zum Schlachten stressfrei in die fast benachbarte Posthausener Landschlachterei gebracht. „Im Moment schlachten wir zwei Schweine die Woche“, erklärt Birte Kedenburg, „und die Stammkundschaft weiß die besondere Qualität des Fleisches zu schätzen.“ Für dieses können Kedenburgs die Preise selbst kalkulieren. Anders bei den Hausschweinen, die Kedenburg mästet, bis sie das Gewicht für den industriellen Schlachthof erreicht haben: „Der Deckungsbetrag passt seit Jahren nicht mehr.“ 75 Zuchtsauen hält Kedenburg, die im Schnitt 28 Ferkel pro Jahr kriegen. Die gestiegenen Futtermittelkosten eingerechnet, bräuchte der Züchter für die Wirtschaftlichkeit der Ferkelaufzucht und -mast einen Kilopreis von 2,30 Euro vom abnehmenden Schlachthof, aber derzeit „kriegen wir zwischen 1,95 und 2 Euro“. Dem Preisdumping sind die Schweinehalter ausgeliefert, denn sie können die Tiere nicht zurückhalten: „Wir arbeiten sozusagen in Vorleistung. Bis ein Schwein am Haken hängt, haben wir etwa ein Jahr Arbeit und Kosten reingesteckt. Bei Daimler kann man das Band einfach anhalten, wenn die Produktion sich nicht rentiert. Die Schweine fressen und ferkeln weiter – und müssen raus, wenn sie das normierte Gewicht erreicht haben.“ Der Lebensmitteleinzelhandel habe zu große Macht, die Preise zu drücken, meint Heiko Kedenburg, und „wir sind das unterste Glied in der Kette“. Dazu komme eine weitverbreitete Geiz-ist-geil-Mentalität. „Für jedes Mastschwein gibt der Züchter zwölf Euro zu“, weiß Landwirtschaftsberaterin Sonja Otten aus den Statistiken. Dass Betriebe das auf Dauer nicht durchhalten können, liegt auf der Hand. Den Schulterschluss mit der Landwirtschaft fordern die Betroffenen deshalb nicht nur von der Politik, sondern auch von den Verbrauchern, die sich laut Umfragen ja zunehmend Regionalität wünschen. Allen müsse jedoch klar sein: Sterben die Höfe, stirbt auch die regionale Lebensmittelversorgung. Als einen möglichen Weg aus der Krise sieht Sonja Otten den regionalen Vermarktungsansatz, wie ihn Kedenburgs gewählt haben. „Ansonsten“, so Heiko Kedenburg, „kommen die Sachen irgendwann alle aus dem Ausland“, und dort frage selten jemand nach Spritzmitteln oder Tierwohl.