Ottersberg – In immer weniger Familien lesen Eltern ihren Kindern Geschichten vor, gleichzeitig nimmt die Zahl der Kleinkinder zu, die zu Hause selbstverständlich mit Handy, Tablet und Co. hantieren. Das bleibt nicht ohne Auswirkungen. „Es gibt viele Kinder, die wir begleiten müssen, weil sie sprachliche Auffälligkeiten zeigen“, weiß Christina Scheel, Fachkraft für Sprache in der evangelischen Kindertagesstätte Ottersberg. Diese ist eine von sieben Einrichtungen im Landkreis Verden, die durch das Bundesprogramm „Sprach-Kitas“ gefördert werden. Letzte Woche hielt Scheel einen Impulsvortrag vor Erzieherinnen aus dem Flecken Ottersberg, um ihren Erfahrungsschatz aus zwei Jahren Arbeit in der Kita zu teilen. Denn die über das Bundesprogramm finanzierten Fachkräfte für Sprache sollen vor allem als Multiplikatoren für Erzieherinnen und Erzieher auftreten.
„Ideenklau ist erlaubt“, betonte Gudrun Schütte, Fachberaterin für alle kommunalen Kitas in Achim, Oyten, Ottersberg und Thedinghausen, die das Netzwerktreffen initiiert hatte. Schütte hatte bewusst die evangelische Kita gewählt, damit Christina Scheel bei einer Führung durch die Räume der Sprach-Kita Praxisbeispiele zeigen konnte. „Es geht hier um ein Refreshing von Sprache“, so Schütte. Denn die harten Jahre der Coronazeit hätten eine ganze Republik verunsichert – bis hinein in die Kitas. „Die Eingewöhnung war dieses Jahr sehr anstrengend“, berichtete Nicole Würdemann, Leiterin der evangelischen Kita Ottersberg.
2015 hatte sich die Ottersberger Kita um die Aufnahme in das Bundesprogramm beworben, das 2016 startete. Schon damals hatte die Kita einen hohen Anteil an Kindern mit Migrationshintergrund. Ziel der Sprach-Kitas sei aber nicht das Ausgleichen von Sprachdefiziten, sondern die „alltagsintegrierte Sprachbildung“, betont Scheel. Dabei besteht ihre Aufgabe vor allem darin, Anregungen und Qualifikationen für Erzieherinnen im Team der Kita zu geben. Außerdem steht sie im engen Austausch mit den Kita-Leitungen und den Familien. Zum Beispiel bot die evangelische Kita vor Corona einmal wöchentlich ein Elterncafé an. „Momentan machen wir das nicht, wollen aber sobald wie möglich wieder starten“, so Scheel.
Von Zeit zu Zeit hospitiert Christina Scheel auch in den Gruppen – die evangelische Kita Ottersberg hat aktuell zwei Krippen- und vier Kindergartengruppen. Unterschiedliche Methoden sollen die Kinder sprachlich aktivieren und den Kollegen geeignete Vorschläge an die Hand geben. In der gelben Gruppe hat Scheel beispielsweise „Sprachsäckchen“ eingesetzt – darin finden sich Pinguine mit Eisschollen und Meer, gebastelt aus Eierkartons und blauen Tüchern. Dazu wird eine kleine Geschichte erzählt, die zu kommunikativen Spielideen anregen soll. Die „Gummibärchenwaschstraße“ soll die Mundmotorik trainieren. Dabei gilt es, die auf Zahnstocher gespießten Süßigkeiten vorsichtig mit der Zunge zu „waschen“. Zur Belohnung kann das Gummibärchen gegessen werden.
Auch Bücher nehmen in der evangelischen Kita Ottersberg viel Raum ein: So verfügt die Einrichtung über eine Bücherei, in der sich die Kinder die mit farbigen Punkten markierten Bücher einmal wöchentlich ausleihen können. „Das hat meine Vorgängerin etabliert“, erzählt Scheel. „Weil sie festgestellt hat, dass in vielen Familien kaum noch vorgelesen wird.“
Auch im Kita-Alltag können die Erzieherinnen mit Büchern das Thema Sprache in den Fokus rücken. Scheel zeigt „Der kleine Eisbär“ auf Türkisch, ein bebildertes Wörterbuch in verschiedenen Sprachen sowie Bücher mit vielen Bildern und wenig Text. So könnten die Fachkräfte zunächst gucken, wo die Interessen der Kinder liegen, statt die niedergeschriebenen Worte gleich „runterzurattern“. Zudem finden sich Bücher über Krieg und Migration sowie ein lila Heft, das Eltern mit Flucht- und Migrationserfahrung mittels Bildern die Abläufe in der Kita darstellt und erklärt. Das helfe den Erziehern bei Sprachbarrieren und kulturellen Missverständnissen. „Elternarbeit ist ein großes Thema. Bei uns war eine Mutter aus der Ukraine zum Beispiel irritiert, dass ihr Kind hier mit Matsch spielen darf“, erzählt eine Erzieherin aus der Kita Quelkhorn.
Ein relativ neuer Schwerpunkt des Bundesprogramms sind digitale Medien. Scheel zufolge nimmt seit rund zwei Jahren die Anzahl der Kinder in der Kita mit eigenem Tablet zu: „Ein Großteil passiert zu Hause mit Medien.“ Kitas müssten daher eine Haltung entwickeln. Christina Scheel hat in der grünen Gruppe ein Tablet mit stoßsicherem Rahmen und die App „Book-Creator“ eingesetzt. Damit können Kinder eigene Geschichten erstellen – „Gestalter und nicht Konsument sein“, so Scheel. Wichtig sei, Kinder nie allein vor das Gerät zu setzen, sondern es „begleitet und wohldosiert“ einzusetzen.
Christina Scheel ist froh, dass die Bundesregierung das „Sprach-Kita“-Programm, das zum Jahreswechsel enden sollte, vorläufig bis Mitte 2023 verlängern will. „Das ist wichtig für die Qualität an den Kitas. Wir machen hier nicht nur Aufbewahrung, sondern haben einen Bildungsauftrag“, so Scheel. Die Verlängerung soll als Übergangslösung dienen: Mittelfristig soll die Finanzierung nämlich Ländersache werden, sofern diese das Programm dauerhaft etablieren wollen. Bremen und Schleswig-Holstein etwa wollen diesen Weg gehen. Eine Entscheidung des Landes Niedersachsen steht derweil noch aus.