Die Reise des Petro Lübben aus Ottersberg: Mit dem Fahrrad um die Welt

Bäckerbursche und Drahtesel

Der Tafelberg in Südafrika
 ©

Kapstadt/Ottersberg (bb). Vor einem Vierteljahrhundert berichtete die südafrikanische Zeitschrift „Echo“ über Petro Lübben, der sich mit seinem Fahrrad von Ottersberg aus auf eine Weltreise begeben hatte, und unter anderem in Kapstadt einen Zwischenstopp einlegte. Dort erzählte Lübben dem Magazin eine spannende Geschichte, die nun über Umwege auch die Rundschau-Redaktion erreicht hat. Und das nicht ohne Grund: Anfang diesen Jahres fiel dem in Tarmstedt lebenden Hermann Gerken während seines Urlaubes am Kap jene Echo-Ausgabe in die Hand. Er befand, dass das eine Geschichte für die Rundschau wäre, denn dem Artikel in der Echo-Ausgabe ist ein Reiseruf vorangetellt. Günther Komnick, Herausgeber des Magazins, möchte wissen, wie es dem Ottersberger Lübben heute geht. Aus diesem Grunde habe er sich vor geraumer Zeit an die Gemeindeverwaltung in Ottersberg gewandt, um herauszufinden, was aus Lübben geworden ist. „Bisher leider noch ohne Antwort“, schreibt Komnick. Seine Bitte an die Rundschau: Jenen damals veröffentlichten Artikel abzudrucken, um so Kontakt zu Lübben herzustellen – und um die spannende Geschichte eines Ottersbergers zu erzählen.

Von Gunter Kleinert

Der Bäcker- und Konditorgeselle Petro Lübben aus dem kleinen Ottersberg bei Bremen ist der Meinung, dass Fahrradfahren die beste Art des Reisens sei. Und da er gerade die Welt (die ganze Welt!) sehen und kennenlernen wollte – was lag näher, als sich auf’s Fahrrad zu schwingen und loszuradeln. Am 15. März 1986 startete er in seinem Heimatstädtchen, heute ist er hier bei uns in Kapstadt – das erste Drittel seiner Weltreise ist geschafft – aber lesen Sie doch einmal die Geschichte von Beginn an. Petro, Jahrgang 1957, ging in die Bäcker- und dann in die Konditorlehre, backte kleine Brötchen und fertigte Sahnetörtchen, und durchlebte seine Gesellenjahre. Es folgte die für jeden 20-Jährigen übliche Tramperzeit: Per Anhalter in die Ferien fahren, die benachbarten Länder erkunden, den eigenen Horizont erweitern.

„Aus der Rolle” fiel Petro zum ersten Mal, als er 1982 alleine mit dem Fahrrad auf Europatour ging: Achteinhalb Monate Deutschland, Österreich, Jugoslawien, Griechenland, die Türkei, Italien, die Schweiz und Frankreich – und wieder zurück in seine Gemeinde nach Ottersberg bei Bremen. Und dann der Traum, die Welt auf dem Rad erobern, die ganze Welt, mit eigener Kraft, nur mit Muskeln und Willen und Durchhalten. 2.000 D-Mark kostet das Fahrrad – gewissenhaft aus Einzelteilen bester Qualität zusammengebaut, ein Tourenrad mit schmalen Reifen und 18 Gängen. Weitere 2.000 D- Mark kommen für die Ausrüstung dazu: Kochtopf und Schlafsack, Bettrolle und Zelt, Ersatzteile und Seitentaschen und eine Unzahl anderer Dinge vom Tagebuch bis zur Kamera – bis zu einem halben Zentner. Darunter auch 5.000 D-Mark Startkapital.

Von Ottersberg nach Osnabrück, nach Frankreich, Spanien, Portugal. Dann Marokko und Algerien, zum ersten Mal Afrika. Und die erste harte Prüfung: 24 Tage lang das Rad schieben, durch die Wüste, von Tamanrasset bis Alit, so schlecht waren die Wege. Vorbeikommende Reisende versorgten ihn mit Wasser, einen „Lift” aber nahm er nicht an, nie auf der ganzen Fahrt. Interessant sind die Tuaregs, die stolzen Nomaden mit ihren Kamelen und Karawanen, fremdartig – und gefährlich.

Auf einem schmalen Weg lauert ihm ein Bandit auf, mit offenem Messer, Geld her! Er findet kein Geld, und so schneidet er ein paar Sachen vom Rad los, verschwindet. Und dann Niger, Schwarzafrika. Ganz anders als die arabischen Länder, freier, offener, regelloser im Gehabe und in der Kleidung, natürlicher, animalischer.

Durch das alte Obervolta zur Elfenbeinküste, nach Ghana, nach Togo. Benim ist das nächste Ziel, dann Nigeria. Allein im Zelt, weit weg von jeder Hilfe, erwischt ihn die Malaria. Ein fürchterlicher Fieberanfall.

Petro bringt die Körpertemperatur herunter, indem er sich in eine nasse Decke hüllt. Da meinte er nun, sein letztes Stündlein hätte geschlagen; doch immer wieder kehrte ein wenig Lebenskraft zurück, gerade genug zum Überleben.

Kamerun, geschwächt vom Fieber, feuchtes Klima, dichter Dschungel. Ein schönes und fruchtbares Land.

Dann Gabun, offene Savanne – der Kongo und Zaire. Ein letzter Malaria-Anfall. Sambia, Zimbabwe, Botswana von Maun bis Ghanzie, drei Wochen das Fahrrad schieben, durch feinsten Sand und tiefste Lkw-Spuren, in glühender Hitze, bis nach Namuno, dem Grenzort zu Namibia.

Zum ersten Mal wieder die deutsche Sprache (auch wenn in Togo und Kamerun einige Einwohner ein paar Brocken Deutsch konnten).

Namibia ist so vielseitig, dort bleibt Petro ganze neun Monate. Er erlebt die Wahlen zur Unabhängigkeit und den Wechsel vom alten Südwest zum neuen Namibia. Von Windhoek aus macht er seine Fahrten, in jede noch so vergessene Ecke des Landes.

Überall wird er eingeladen und ausgefragt. Und freundlich und ruhig und ausgeglichen steht er Rede und Antwort. Petro ist nicht das, was man sich unter einem Normalbürger vorstellt, nein, wahrhaftig nicht. Zumindest nicht vom Aussehen her. Da ist dieser Hippie-Look mit den ausgefransten kurzen Shorts, aus deren verblichener Farbe zwei braungebrannte muskulöse Beine herausschauen, die für’s „Radeln” die allerbeste Reklame machen, das bunte Stirnband, das vielfarbige ärmellose Hemd, die vielen Halskettchen, an denen Kleinkrams und Klimbim baumelt, vom ersten ausgefallenen eigenen Zahn bis zum kleinen Erinnerungsstückchen aus einer Eingeborenensiedlung.

Da sind diese Perlen in den Ohren. Nein, der bürgerlichen Norm entspricht dieser Petro nicht. Und viele Schwarze, so merkt er an, hätten ihn oft als „the man who looks like Jesus” bezeichnet.

Jawohl, „Jesus-Look”, richtig, obwohl die sonnengebleichte blonde Lockenmähne, die hellen blauen Augen und auch das mit Perlchen und Federn geschmückte Fahrrad nicht ganz zu einem solchen Bilde passen.

Aber irgendwo und irgendwie ist das ja auch alles nicht so wichtig, und tritt im Gespräch schon nach wenigen Sekunden zurück. Nein, hier bin ich falsch, die hellen blauen Augen bleiben – und die ruhige zurückhaltende Art, in der er erzählt. Und man hat ganz schnell heraus, dass da ein Mann bei einem sitzt, der diese Weltreise vollenden wird. Und das bedeutet weitere zehn Jahre auf dem Fahrrad: Madagaskar, die Ostküste Afrikas bis nach Ägypten hinauf, Asien, Australien, Amerika, zurück nach Ottersberg.

Petro und ich sitzen im Deutschen Verein in Kapstadt. Zum zweiten Mal haben wir uns getroffen – diesmal hat er sein Tagebuch dabei mit einer Aufstellung ganz besonderer Art: Ottersberg-Kapstadt, 41.200 Kilometer, vier Jahre und fünf Monate, 190 Reifenpannen (meist am Hinterrad), 14 Fahrradschläuche, 18 Manteldecken, 21 Speichen erneuert, die dritte Kette, die zweite Luftpumpe (aber die erste wurde nicht geklaut, sondern hatte plötzlich keine Luft mehr), die dritten Bremsbeläge, drei Achsenbrüche.

Dann überlässt er mir einige Fotos, zu treuen Händen: die müssen nach Deutschland, wo ein Freund die Aufnahmen und Aufzeichnungen penibel aufbewahrt und ordnet. Draußen auf der Veranda, wo das Fahrrad in der Eingangstür steht, sammelt sich eine Gruppe englischsprechender Geschäftsleute an. Sie lächeln, witzeln, „crazy“ und so, diese verrückten Deutschen, unglaublich. Bremen, o ja das kennen sie, Hamburg, die Reeperbahn. Dann kommt ein älteres Ehepaar aus dem Restaurant, die Dame hat ganz erschrockene Augen. Mit dem Fahrrad? Von Deutschland?

Ein paar Monate will Petro in Kapstadt arbeiten, als Konditorgeselle. Zerban’s im Gardens Centre wäre eine Möglichkeit, und das Cape Swiss Hotel sucht momentan einen tüchtigen Bäcker. Petro wird schon einen Job finden.

Und dann kommt Petro mit einer Bitte. Da ist etwas, von dem er nichts geahnt hatte, als er losradelte: Die Not, das Elend und der Hunger der Kinder in Schwarzafrika. Sie haben einen unauslöschbaren Eindruck bei ihm hinterlassen.

Er, Petro, der selbst von der Hand in den Mund lebt, der seit mehr als vier Jahren auf offenem Feuer kocht und auf der Erde schläft, er möchte Gelder zusammenbringen für diese ärmsten hungrigen Kinder.

Und als ich selbst wieder im Auto sitze und über die N2 nach Stellenbosch fahre, da geht mir das Gespräch mit Petro nochmals durch den Sinn. Meine stärksten Eindrücke, so rekapituliere ich: Petros Engagement für die hungernden Kinder, seine wirklich blauen Augen – und sein Fahrrad, ein Drahtesel mit 41.200 Kilometern auf dem Buckel, Zentimeter für Zentimeter gerollt und geschoben, aus bestem Material, ganz unauffällig und grau und zugehangen mit Gepäck. Ich hatte so eines jahrelang nicht mehr mit offenen Augen angeschaut – meine Vorstellung von „Rad” hatte sich im Laufe der Jahre gewandelt: Ein Rad, das war so ein radloses, auf dem Boden befestigtes chromblitzendes Rohrgestell mit Sattel und unbeweglicher Lenkstange im Trimm-Dich-Center, wo man schwitzend seine 15 Minuten „Gym” abstrampelte, auf Teppichboden, bei leiser Musik, unter ärztlicher Kontrolle, acht Schritte von der Früchtebar entfernt. Heute weiß ich wieder, was ein Fahrrad ist.

28.02.2021

Landpark Lauenbrück

12.02.2021

Winterlandschaft in Rotenburg

22.12.2020

Weihnachtsbilder

29.10.2020

Herbstfotos der Leser