Chirurg für einen Tag: Wenn Zehntklässler operieren - Von Björn Blaak

„Nur Mut“

Michelle (links) und Josephine ließen sich nicht ablenken. Die perfekte Naht war ihnen eine Herzensangelegenheit. Foto: Björn Blaak
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Ottersberg. Anfang 2008 stellte der Berufsverband der Deutschen Chirurgen die bundesweit angelegte Nachwuchskampagne „Nur Mut! Kein Durchschnittsjob – Chirurg/in“ vor. Mit ihr soll gezielt Nachwuchs angesprochen, und für eine chirurgische Laufbahn begeistert werden. Die Aktion soll realitätsnah über das Berufsbild des Chirurgen informieren und die facettenreichen Seiten der Chirurgie vermitteln. Am Donnerstag war jene Kampagne im Gymnasium Ottersberg zu Gast.

Dafür gesorgt hatte Dr. Jörg-Andreas Rüggeberg. Der gebürtige Düsseldorfer war lange Zeit praktizierender Chirurg in Bremen und betrieb in Ottersberg eine Dependance der Praxis. Doch Rüggeberg ist auch Vizepräsident des Berufsverbandes der Deutschen Chirurgen in Berlin. Unter dessen Dach die Aktion „Nur Mut“ ins Leben gerufen wurde. Und das hat einen besorgniserregenden Grund: 2013 rechnete der Fachverband hoch, dass in den kommenden zehn Jahren 50 Prozent der niedergelassenen Chirurgen und rund ein Drittel aller Krankenhauschirurgen in den Ruhestand gehen werden. „Über 11.000 Stellen werden neu zu besetzen sein“, so der Fachverband. Dafür würden bereits jetzt jährlich mindestens 1.000 Fachärzte der Chirurgie gebraucht. Rüggeberg, der in Otterstedt lebt, lässt daher keine Gelegenheit aus, Heranwachsenden den Beruf näherzubringen.

Schulleiter Volker Busboom-Schäfer war begeistert von der Idee – seine Schüler ebenfalls. Schon nach kurzer Zeit hatten sich 28 Zehntklässler für den Workshop angemeldet. Darunter auch Michelle und Josephine, 15 und 16 Jahre alt. „Unsere Arme schnellten sofort nach oben, als gefragt wurde.“

Und wie ernst es ihnen war, konnte beobachtet werden: Gewissenhaft und konzentriert nähten sie das Herz eines Schweines zusammen, das vor ihnen auf dem Tisch lag. Sie fanden das auch gar nicht eklig und das Blut um das Herz herum, störte sie nicht weiter. Zu sehr waren sie damit beschäftigt, eine ordentliche Naht zu fertigen, was ihnen auch gelang und Rüggeberg begeisterte.

An einer anderen Station versuchten ein paar männliche Kursteilnehmer, eine Endoskopie durchzuführen. Dafür hatte Rüggeberg ein Modell mitgebracht. Dies simulierte den menschlichen Bauch. Mit Spezialwerkzeug und dem Blick auf den PC-Bildschirm sollten die Teilnehmer, ohne direkte Sicht auf den Ort des Geschehens nicht nur Gummibärchen und Smarties aus dem Bauch herausholen, sondern auch einen Faden durch diverse Ösen führen. Den dreidimensionalen Menschen mittels zweidimensionaler Ansicht auf einem Bildschirm zu bearbeiten, beanspruchte denn auch volle Konzentration.

Als Rüggeberg seine Chirurgenlaufbahn begann, gab es solche technischen Hilfsmittel noch nicht. Gerade in jüngster Vergangenheit habe die Entwicklung diesbezüglich ein rasantes Tempo angenommen. Deshalb ist ständige Weiterbildung in dem Berufsfeld unumgänglich.

Rüggeberg, selbst siebenfacher Vater, traut das der frisch heranwachsenden Generation durchaus zu. Am Donnerstag jedenfalls zeigte er sich durchweg vom Engagement der Schüler angetan, die mit großem Eifer nicht nur ein Herz bearbeiteten, sondern auch Hautstreifen zusammennähten und aus einer Orange einen Tumor entfernten. Auch, dass keiner von den Schülern nach Hause wollte, als es eigentlich Zeit dafür war, nahm er zufrieden zur Kenntnis. Genauso die Teamarbeit, die an den einzelnen Stationen praktiziert wurde, denn auch sie sei elementar für dem Beruf.

Noch wichtiger ist in seinen Augen aber „Entscheidungsfähigkeit“, denn Operationen würden nicht immer nach Plan laufen. „Wenn man ungewollt andere Organe verletzt, muss man schnell reagieren können“. Auch Überwindungskraft ist von Nöten, denn einen Menschen aufzuschneiden, sei eine große Herausforderung.

Eine, der sich aktuell mehr Frauen als Männer stellen. 60 Prozent der Neu-Chirurgen sind Frauen. „Das hat mit dem Numerus clausus zu tun“, weiß Rüggeberg. Den würden nun mal Mädchen häufiger schaffen als Jungs. Das Problem ist nur, dass Frauen oft wieder aus dem Job aussteigen, wenn sie Beruf und Familie unter einen Hut bringen müssen. Als Teilzeitjob scheint Chirurg nicht zu taugen.

Michelle, die zwar noch nicht weiß, was sie studieren möchte, könnte sich vorstellen, Chirurgin zu werden. Ganz unbeleckt ist sie in dem Bereich nicht, sind ihre Schwestern doch Krankenschwester von Beruf. Auch Josephine findet das Berufsfeld spannend. Hinsichtlich des Notendurchschnitts stellte sie aber fest, dass sie dort wohl noch ein wenig nachbessern müsste.

Kommende Woche tritt die zweite Schülergruppe ihren „Dienst“ in dem provisorischen OP-Saal an, den Rüggeberg im Chemieraum aufgebaut hat. „Alle Materialien und Geräte hat er selbst mitgebracht“, freut sich Bussboom-Schäfer. Für Rüggeberg ist das eine Herzensangelegenheit – egal ob mit oder ohne perfekte Naht.

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