Rotenburg – Er war Gitarrist einer Schulband am Gymnasium in Bremervörde, ging als Torwart keinem Zweikampf aus dem Weg, um seinen Kasten sauber zu halten, und trägt am linken Handgelenk eine Armbanduhr, die immer fünf Minuten vorgeht – ein psychologischer Trick, um pünktlich bei jedem Termin zu sein. Am Montag vergangener Woche ist Marco Prietz (CDU), zweifacher Familienvater aus Bremervörde, als Landrat vereidigt worden. Im Interview mit der Kreiszeitung spricht der Nachfolger von Hermann Luttmann (CDU) über seine Ziele und erklärt, warum er trotz seines jungen Alters von nur 33 Jahren keine Angst davor hat, nicht ernst genommen zu werden.
Wie kam der Marmorkuchen an, den Sie für die Kennenlernrunde mit den Dezernenten gebacken hatten?
Der hat allen geschmeckt, obwohl ich zugegebenermaßen ein besserer Koch als Bäcker bin. Aber darum war es ja auch nur ein Marmorkuchen und keine Sachertorte. Sie haben am Montag Ihr neues Büro bezogen – sind Sie im Amt schon so richtig angekommen? Dafür fehlte bisher die Zeit, denn ich hatte zwischen Wahl und Start nur zwei Tage frei. Ich habe meine Aufgaben als Amtsleiter für Kreisentwicklung beim Landkreis Osterholz übergeben und mich gleichzeitig auf meinen Landratsposten vorbereitet. Gestern Abend um 19 Uhr aber, als es draußen bereits dunkel und im Kreishaus ganz ruhig war, habe ich mir einen Moment zum Durchatmen genommen, und es war ein sehr gutes Gefühl. Am Montag vergangener Woche hatten Sie Ihre erste Kreistagssitzung als Landrat. Wie war das? Es war zunächst ungewohnt, vorne zu sitzen. Am Anfang war ich aufgeregt, weil ich dachte, ich müsste den Amtseid auswendig aufsagen. Ein bisschen Nervosität gehört vor jeder Sitzung dazu. Aber zum Glück liegt es mir, vor Menschen zu sprechen. Ist dieses Talent wichtig für Ihren Posten? Ja, denn um Menschen zu überzeugen, muss man authentisch sein. Die Zuhörer müssen merken, dass man hinter dem steht, was man sagt. Es ist besser, frei zu sprechen. Eine Ausnahme sind sehr förmliche Anlässe. Wie lief die Übergabe mit Ihrem Vorgänger? Ich hatte vor meinem Amtsantritt eine Handvoll Termine mit den Dezernenten, an einigen hat auch Hermann Luttmann teilgenommen. Wir haben uns aber auch die Zeit für ein entspanntes Vier-Augen-Gespräch genommen. Hat er Ihnen dabei eine To-do-Liste überreicht? Nein, denn er ist ein Freund der klaren Schnitte. Alles Wichtige, was noch zu klären war nach der Wahl, hat er mir als Nachfolger überlassen. Wir kennen uns lange und haben ein enges Vertrauensverhältnis. Ich war mit ihm zehn Jahre im CDU-Kreisvorstand. Er hat mir zum Abschluss seine Hilfe angeboten – darauf komme ich bestimmt mal zurück. War Ihr alter Posten im Amt für Kreisentwicklung eine gute Vorbereitung für Ihre neuen Aufgaben? Absolut. Mir sind Themen wie Wirtschaftsförderung, Kultur, Tourismus, der Breitbandausbau oder auch moderne Geoinformationssysteme gut vertraut. Ein Plus ist die Führungserfahrung, die ich als Amtsleiter bereits sammeln durfte. Was für einen Chef bekommen die Mitarbeiter des Kreishauses? Als Führungskraft geht es nicht darum, der beste Sachbearbeiter zu sein. Entscheidend ist es, die Mitarbeiter zu motivieren und das Beste aus jedem Einzelnen herauszuholen. Alle sollten das gemeinsame Ziel vor Augen haben und gern zur Arbeit gehen. Jeder Mitarbeiter kann mir offen und ehrlich seine Meinung sagen. Ich möchte in allen Lebenslagen ein offenes Ohr haben und Empathie zeigen, wenn es auch mal im persönlichen Bereich hakt. Sind Sie genauso offen für Gespräche mit Bürgern? Natürlich, aber mir ist ebenfalls ein geschützter Raum für meine Familie wichtig – bei einem privaten Besuch auf dem Wochenmarkt möchte ich nicht über Bauanträge sprechen. Dafür biete ich Bürgersprechstunden in Bremervörde, Rotenburg und Zeven an und werde neue Formate ausprobieren. Und wenn mir ein Bürger eine E-Mail schreibt, kann er sich darauf verlassen, dass er zeitnah eine Antwort bekommt. Wie bewerten Sie den finanziellen Status quo im Landkreis Rotenburg? Aktuell stehen wir gut da. Das liegt unter anderem an den steuerkraftstarken Gemeinden, etwa an der A1. Dass dort viel Geld verdient wird, macht sich positiv bei der Kreisumlage bemerkbar. Wir haben außerdem eine niedrige Arbeitslosenquote, gleichzeitig aber auch einen hohen Investitionsbedarf. Wo sehen Sie diesen? Zum Beispiel im schulischen Bereich: In dieser Woche haben wir das Richtfest des Gymnasiums in Bremervörde gefeiert. Dort habe ich 2007 Abitur gemacht. Als Schüler haben wir uns damals über den schlechten räumlichen Zustand geärgert. Heute, 14 Jahre später, entsteht jetzt ein neues Gebäude – es ist spannend für mich, dass nun als Landrat zu begleiten. Aber es müssen auch einige Trakte im Rotenburger Ratsgymnasium modernisiert werden. Damit starten wir 2022. Sie haben früh den Katastrophenschutzplan angefordert. Warum war Ihnen das wichtig? Niemand kann voraussagen, wann ein Katastrophenfall eintritt. Die Natur interessiert es herzlich wenig, wann mein erster Arbeitstag als Landrat ist – ebenso wenig wissen wir, wann uns die afrikanische Schweinepest erreicht. Darauf müssen wir vorbereitet sein. Vor zehn bis 15 Jahren war der Katastrophenschutz überall in Deutschland in einem schlechten Zustand. Erst seit den Elbhochwassern findet ein Umdenken statt. Als es in Hitzacker Überflutungen gab, war ich als Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr im Einsatz und bin abends in mein Feldbett gefallen, weil ich vom Schleppen der Sandsäcke erschöpft war. Das hat mich beeindruckt. Sie sind jemand, der gerne anpackt? Ich treffe gerne und schnell Entscheidungen. Ich bin nicht der Typ, der Vorgänge liegen lässt. Entscheidungen sind wie Schnitzel – wenn man die zu oft hin und her wendet, sind sie verbrannt und schmecken nicht mehr. Als Verwaltungschef sind die Möglichkeiten, frei zu gestalten, überschaubar. Viele Dinge sind leider bis ins letzte Detail verrechtlicht, das war früher anders. Überall tauchen Bedenken auf, es geht oft um Verantwortung und Zuständigkeiten. Im Wahlkampf habe ich gesagt: Ich weiß, wie Verwaltung funktioniert, kenne die Abläufe und respektiere sie – ich liebe sie aber nicht. Ich bin jemand, der gestalten will, das macht mich mitunter ungeduldig. Welche Möglichkeiten haben Sie, Vorgänge zu beschleunigen? Bestehende Gesetze kann ich nicht verändern. Aber ich möchte dazu beitragen, dass Entscheidungen schneller getroffen werden. Dabei geht es um Abläufe, die Digitalisierung – um eine Kultur, in der man gerne Entscheidungen trifft. Niemand kann sich bis ins letzte Detail absichern. Welche ungelösten Themen übernehmen Sie? Die Debatte um die Deponie in Haaßel wird uns über Jahre hinweg begleiten. Eine große Baustelle ist das Thema Mobilfunk. Das stelle ich selbst oft fest: Es ist nicht möglich, von Rotenburg nach Bremervörde durchgehend zu telefonieren, auch in der Samtgemeinde Sottrum und anderswo gibt es große Lücken. Da muss etwas passieren. Wie kann das gelingen? Wir werden den Mobilfunkanbietern definitiv kein Millionen-Förderprogramm anbieten, damit sie weitere Türme bauen. Vielmehr geht es darum, mit den Gemeinden nach Standorten für neue Funkmasten zu suchen. Sind die gefunden, müssen wir die Genehmigungsverfahren beschleunigen. Mein Ziel ist es, in den kommenden Jahren die Probleme entlang der Verkehrswege abzustellen. Viele Bürger kritisieren, dass die Bearbeitungszeit im Bauamt zu lang ist. Wie lösen Sie das Problem? Die Mitarbeiter sind am Limit. Wenn das Personal dort nicht gegen das Arbeitsaufkommen ankommt und es deshalb zu Bearbeitungszeiten kommt, die inakzeptabel sind, dann müssen wir reagieren und zusätzliche Stellen schaffen. Eine weitere Stellschraube wird die Digitalisierung sein. Es war ein wichtiger Schritt, das Amt für Digitalisierung und IT einzurichten. Die E-Akte, mit deren Einführung vor meinem Start begonnen wurde, wird auf Dauer viele Prozesse verbessern und es erleichtern, ämterübergreifend an Projekten zu arbeiten. Priorität hat derzeit der Haushalt, der bis Weihnachten stehen soll. Wie viel Prietz steckt darin? Der Haushaltsentwurf wurde zunächst unabhängig vom Landratswechsel erstellt. Bereits vor einigen Wochen habe ich mit den Dezernenten über Teilhaushalte gesprochen und Dinge angepasst, etwa zugunsten meiner Schwerpunkte Wirtschaftsförderung, Bauen und Mobilfunkausbau. Am Dienstag stellen wir den Haushaltsentwurf im Finanzausschuss vor. Erleichtert es Ihre Arbeit im Kreistag, dass es eine CDU-Mehrheitsgruppe gibt? Als Verwaltungschef ist man immer froh, wenn es klare Mehrheitsverhältnisse gibt. Allerdings werden schwierige Entscheidungen zumeist mit breiter Mehrheit getroffen. So wurde beispielsweise der Beschluss, das Krankenhaus in Zeven zu schließen und dafür die Klinik in Bremervörde zu erweitern, von CDU, SPD, Grüne, FDP und WFB beschlossen und parteiübergreifend eng zusammengearbeitet. Die Demokratie lebt von politischer Diskussion – am Ende setzt sich im Zweifel die Mehrheit durch. Sie sind mit 33 Jahren derzeit wahrscheinlich der jüngste Landrat in Deutschland. Nervt es Sie manchmal, darauf angesprochen zu werden? Das junge Alter ist Segen und Fluch zugleich. Wenn etwas schiefgeht, werden die Menschen sagen: Seht her, der ist zu jung. Mir hat es geholfen, dass ich früh ergraut bin und deshalb älter aussehe. Sonst wäre ich mit 23 Jahren nicht schon Parteivorsitzender in Bremervörde geworden. Und nur zehn Jahre später Landrat ... Sie sind in das Büro Ihres Vorgängers gezogen. Wird sich dort noch etwas verändern? Die Einrichtung werde ich übernehmen, denn es gibt keinen Grund, dafür Geld in die Hand zu nehmen. Mir ist es aber wichtig, eine persönliche Note reinzubringen – zum Beispiel mit Bildern von den Nordpfaden, die ich während des Wahlkampfs gewandert bin. Ich habe dabei einen anderen Blick auf die Natur und die Landschaft gewonnen. Dabei wuchs in mir auch der Wunsch, künftig persönlich Verantwortung für den TouROW zu übernehmen. Sie sind frischer Landrat und junger Familienvater. Wie schaffen Sie es, beide Aufgaben unter einen Hut zu bringen? Planung ist sehr wichtig. Ich halte mir trotz der vielen Termine gezielt mal einen Abend frei und bringe unsere beiden Jungs mit zu Bett. An diesen Abenden bin ich für niemanden erreichbar. Singen Sie den beiden dann etwas vor? Ich singe nur, wenn niemand zuhört. Unseren Kleinen, der sechs Monate alt ist, kann ich mit La Le Lu vielleicht noch beeindrucken, unseren Großen aber nicht mehr. Dem lese ich Fünf-Minuten-Geschichten vor oder wir hören ein Hörspiel. Solche Momente sind unbezahlbar.