Brücken verbinden – und helfen, die Artenvielfalt zu bewahren

Nirgendwo ist Nichts

Die Hellweger Brücke am Wümmebogen führt in die Wümmeniederung.
 ©Joachim Looks

Hellwege. Während der letzten Schuljahre vor dem Abitur in Kiel begleiteten mich zwei Freundinnen, deren Väter als Lotsen auf dem Nord-Ostsee-Kanal fuhren. Der Vater einer der beiden begleitete 1968 als Kanal-Lotse den Schwimmkran Magnus VII. Für den Ende des 19. Jahrhunderts gebauten Kanal hatte die damalige kaiserliche Bauordnung bei Brücken festgelegt, dass es eine Durchfahrtshöhe von mindestens 42 Metern über dem Wasser geben müsste, um Schiffe mit hohen Aufbauten wie Segelmasten problemlos passieren zu lassen.

Vorschriftsmäßig erkundigte sich der Vater meiner Schulfreundin, ob der Schwimmkran seinen Ausleger so eingefahren habe, dass der Kran problemlos die Kanalhochbrücken hätte unterfahren können. Dies wurde bejaht. Dumm nur, dass die Aussage des Schwimmkran-Kapitäns nicht stimmte und der Ausleger gleich zu Beginn die Kiel-Holtenauer Hochbrücke berührte, sich dort leicht verhakte, und wieder frei kam, weil die Stahlfachwerk-Konstruktion dem entstandenen Zug nachgab und scheinbar unversehrt stehenblieb.

Selbstverständlich wurde die Hochbrücke nach diesem Unfall sofort gesperrt und konnte erst Monate später wieder eröffnet werden. An den langen Ausfall der Brücke erinnere ich mich noch sehr genau, war ich doch als sogenannte Fahrschülerin unmittelbar davon betroffen, weil die sonst ganz selbstverständliche Fahrt nach Kiel an der Wasserstraße endete, wo nun Fähren zum Einsatz kamen, ehe es mit öffentlichen Verkehrsmitteln auf der anderen Kanalseite weiterging. Autofahrenden blieb nichts anderes übrig, als einen kilometerlangen Umweg über kleinste Straßen und verwinkelte Dorfdurchfahrten zur nächst gelegenen Hochbrücke in Kauf zu nehmen. Weder Land- und Dorfstraßen, noch die dortige Kanalbrücke waren für das Mehr an Verkehr geplant oder ausgebaut, mit der Folge von langen Staus. Ich habe noch nie so eindrucksvoll wie 1968 erlebt, was es bedeutet, wenn lebenswichtige Verkehrsverbindungen unterbrochen werden.

2018 berichtet eine große süddeutsche Zeitung über ein Brückenprojekt aus Schleswig-Holstein, das 2005 im Zusammenhang mit der Umwandlung einer viel befahrenen Bundesstraße in eine Autobahn entstanden war. Die Bundesstraße, mir gut bekannt von Fahrten zwischen meinem Elternhaus und dem Wohnort der Großeltern, führte unter anderem durch ein Waldstück, das aufgrund überproportional vieler Wildunfälle als Unfallschwerpunkt berüchtigt war. In diesem Bereich entstand die erste Wildbrücke Schleswig-Holsteins, die seit ihrer Errichtung eine der am besten untersuchten Grünbrücken Deutschlands ist. Fünf Jahre lang wurde fast alles registriert, was sich registrieren ließ. Die Brücke wurde bestückt mit Bewegungsmeldern und Infrarotkameras, Dam-, Reh-, Schwarzwild, Feldhasen, Füchse und Hermelin nahmen das Angebot bereitwillig an. Dauerbeobachtungsstreifen und Zäunungsquadrate gaben Auskünfte über das Wachstum von Pflanzen. Über 300 Pflanzenarten fanden sich, darunter Ackerlöwenmaul und Gänsefuß. Blindschleichen, Ringelnattern, Kreuzottern, Teichmolche, Erd- und Knoblauchkröten nutzten die Brücke als Weg.

Mittlerweile dient sie als Leuchtturmprojekt für die Entwicklung weiterer Grünbrücken und wird mit Bundes- sowie Landesmitteln gefördert, weil sich zeigte, dass anspruchsvolle Arten, die in über einen Kilometer Entfernung von der Brücke zahlreich angetroffen wurden, ihren Weg darüber bisher nicht fanden. Denn geeignete Verbindungskorridore fehlten, deren Schaffung und Entwicklung mittlerweile im Fokus des Projekts stehen. Erfolge zeigen sich bald: erste Laufkäfer wurden auf der anderen Seite der Grünbrücke gefunden, Kammmolche erschienen in eigens geschaffenen Trittsteinen, Blutströpfchen, ein Nachtfalter, tauchte auf, Kreuzkröten wurden gesichtet und Haselmäuse. Es reicht eben nicht nur Brücken zu bauen, Zufahrtswege sind ebenfalls erforderlich, wie der Autor des Zeitungsberichts feststellt.

Im Landkreis Rotenburg gibt es bisher keine Wildbrücke. Möglicherweise wird dieses erforderlich, wenn Infrastrukturprojekte verwirklicht werden, die Lebensräume zerschneiden und Artenvielfalt bedrohen, weil die Zerstörung eines Artengleichgewichts nicht linear, sondern in einer immer steileren Kurve zu einem Artensterben führt.

Auch wenn Grünbrücken den Landkreis bisher nicht vor so einem Szenario bewahren, gibt es doch eine Reihe von Brücken, die ins Grüne führen. Ein besonders gelungenes Beispiel ist eine erst vor kurzem errichtete Fußgänger- und Radfahrerbrücke über die Wümme bei Hellwege. Sie wird erreicht, wenn von Hellwege aus über den Bremer Damm in Richtung des Hellweger Ortsteils Auf der Meente mit dem Rad gefahren oder zu Fuß gelaufen wird. Außerhalb Hellweges, vor einer leichten Linkskurve, zweigt rechts der unbefestigte Weg Wümmebogen ab. An seinem Ende quert die im Foto gezeigte Brücke anstatt eines Wehres, das es dort mal gab, den Fluss. Wer weiß, vielleicht dient auch sie dem einen oder anderen Tier als Wildbrücke in die Flussniederung?

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