Wann Abwägen zum Wohl der Allgemeinheit nötig ist

Eigentum verpflichtet

Am Rande des Naturschutzgebietes Wolfsgrund gibt es Nutzungseinschränkungen für die Landwirtschaft.
 ©Joachim Looks

Eversen. Es war ein spannendes Erlebnis, meine Schwiegermutter abends von ihrer Arbeit abzuholen, denn in dem Bürohaus, wo sie als Sekretärin des Kreisverbandes Kiel der Kleingärtner tätig war, gab es einen Paternosteraufzug, technisch Personen-Umlauf-Aufzug genannt. Aufzüge und Rolltreppen waren mir vertraut, seit ich aus unserem Dorf zur weiterführenden Schule nach Kiel fuhr, aber einen Paternoster kannte ich nicht.

Es dauerte, ehe ich mich traute, begleitet von meinem Mann, eine der beständig ohne einen Halt vor einem auf- oder niederfahrenden Kabinen zu betreten, in großer Sorge, ob ich es schaffen würde, im gewünschten Stockwerk auch wieder rechtzeitig den Aufzug zu verlassen. Aber es klappte ohne Probleme. Mit jeder Benutzung wuchs der Mut, und irgendwann wollte ich im obersten Stockwerk nicht aussteigen, sondern ganz nach oben fahren, wo die Kabine nicht zusammenklappte, wie Unwissende mutmaßten, sondern aufrecht über große Scheiben in den anderen Aufzugschacht umsetzte, in dem es gleich wieder nach unten ging. Eine spannendes Abenteuer!

Der Kleingärtnerverein Kiel war stolz darauf, dass er bereits 1897 gegründet wurde. Er verfügte über ein breit gefächertes Angebot an städtischem Grund und Boden für Garteninteressierte, musste aber seit den 50er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts akzeptieren, dass immer mehr Kleingärten gekündigt wurden, weil mit beginnendem Aufschwung nicht nur die Nachkriegswirtschaft an Fahrt gewann, sondern ebenfalls der Hunger nach Flächen für Wohn- und Industriegebiete, neue Schulen und Straßen wuchs. Meine Schwiegermutter hatte die für gekündigte Kleingärtner deprimierende Aufgabe, Entschädigungen für das zu auszuzahlen, was ehemalige Pächter nicht mitnehmen konnten: Gartenhäuschen, Bäume, Sträucher.

Artikel 14 unseres Grundgesetzes (GG) gewährleistet Eigentum und Erbrecht im Rahmen dessen, was Gesetze zulassen. Zugleich wird festgelegt, dass Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch solle dem Wohl der Allgemeinheit dienen. Dazu sind Enteignungen zulässig, wenn dieses durch Gesetz geregelt und – ebenfalls durch Gesetz – Art und Ausmaß der Entschädigung festgelegt sind. Und weiter heißt es, dass die Entschädigung unter gerechter Abwägung der Interessen von Allgemeinheit und Beteiligten bestimmt werden müsse.

Dies ist nicht immer leicht und bringt in besonders schwierigen Fällen mancherorts interessante Lösungen. Über ein Jahrzehnt führte im Nachbarkreis Verden eine Verbindungsstraße zwischen einem Gewerbegebiet und einer nahe liegenden Ortschaft ins Nichts, weil ein Grundstücksbesitzer nicht zum Verkauf benötigter Flächen bereit war. Die Verantwortlichen kamen im wahrsten Sinne des Wortes keinen Meter voran, bis der Anschluss über einen eleganten Bogen um die strittigen Flächen herumgeführt wurde.

Vor fünfzig Jahren, als Kieler Kleingärtner schweren Herzens bei ihrem Kreisverband die finanzielle Entschädigung abholten, mit der vielleicht ihr materieller, aber nicht ihr ideeller Verlust durch die Aufgabe ihrer kleinen, grünen Paradiese gemildert werden sollte, galt noch das Reichsnaturschutzgesetz. Es sah keine Entschädigung im Falle einer Enteignung vor (Artikel 24). Mit Verkündigung des Grundgesetzes im Jahre 1949 verlor dieser Artikel jedoch durch den Artikel 14 GG seine Gültigkeit. Auskunft dazu, wie Niedersachsen Eigentumsrechte im Fall von Beschränkungen durch Naturschutzrecht gesetzlich regelt, wie entschädigt oder ein Ausgleich gewährt wird, gibt § 68 des niedersächsischen Ausführungsgesetzes zum Bundesnaturschutzgesetz. Wer sich durch den Gesetzestext arbeitet, wird angesichts juristisch wohl durchdachter Formulierungen sicher mehrfach an einen Paternoster erinnert: rauf, runter, umgesetzt in einen anderen Schacht, dabei nicht zusammengefaltet, aber irgendwie doch nicht so wie vorher. Ohne Hilfestellung durch die öffentliche Hand finden sich nur wenige zurecht.

Und woran sind Gebiete zu erkennen, deren Nutzung aus Naturschutzgründen eingeschränkt werden? Schutzgebietsverordnungen sollen helfen, besondere Funktionen eines Gebietes als Lebensraum für gefährdete Tiere und Pflanzen dauerhaft zu sichern. Also muss alles unterbleiben oder darf nur eingeschränkt eingesetzt werden, was Erhalt und Entwicklung des entsprechenden Bereichs behindert. Beispielsweise reagieren Sandheideflächen ausgesprochen empfindlich auf jeglichen Nährstoffeintrag. Die Besenheide (Calluna vulgaris), charakteristische Pflanze in Sand- und Wacholderheiden, ist ein Hungerkünstler, dem üppiges Nahrungsangebot schadet. Wer sich in der Everser Feldmark das Naturschutzgebiet Wolfsgrund anschaut, wird nach dem herrlichen Blick von der attraktiven Aussichtsplattform über die sanftwellige Heidefläche verstehen, dass landwirtschaftlich genutzte Bereiche in Teilen Nutzungseinschränkungen unterliegen, um einen zu hohen Stickstoffeintrag in die angrenzende, empfindliche Sandheide zu minimieren.

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