Mit Familie Kipp geht es auf einen Rundgang durch die Kirchstraße Nr. 16 - VON NINA BAUCKE

Die letzten Kaffeetassen

Bald ist das Haus Nummer 16 in der Kirchstraße in Sottrum Geschichte.
 ©Baucke

Sottrum – Wie vergessen stehen sie da, ein paar Zweier-Stapel Kaffeetassen mit Blümchenmuster, offenbar aus verschiedenen Serien zusammengewürfelt. Wenige Fächer weiter ist eine kleine Horde Plüschtiere auf einem Regalbrett versammelt. Woher sie sind und wem sie gehören – Plüschtiere wie Kaffeetassen – weiß Heinz Kipp nicht mehr. Ansonsten gibt es nicht viel, was der Sottrumer über die Räume mit den fast leeren Regalbrettern, Umzugskartons und ein paar zurückgebliebenen Möbeln nicht weiß. Denn das Haus Kirchstraße Nr. 16 ist eng mit seiner Familie verbunden.

Allerdings nicht mehr lange – jedenfalls nicht in materieller Hinsicht. Ist die Planung für den neuen Rathausanbau in trockenen Tüchern, rollen die Bagger an, und das Gebäude aus dunkelrotem Klinker sowie die im Laufe der Jahrzehnte angebauten Nebengebäude werden der Vergangenheit angehören, um dann etwas Neuem Platz zu machen. Nichtsdestotrotz steckt einiges an wechselvoller Geschichte in dem Gebäude, aber auch in dem Grundstück. „Das hier war immer als ,Salems Huus‘ bekannt“, erklärt Kipp. „Salem“ vermutlich als plattdeutsche Verballhornung des Namens Sandleben, eine Familie, die bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts auf dem Grundstück neben der St.-Georg-Kirche ansässig gewesen war, bevor Kipps Urgroßeltern dorthin zogen und die Familie das Bauernhaus um 1930 herum durch das heutige Gebäude ersetzte.

Seitdem war es vieles: Gaststätte, Bäckerei, parallel dazu landwirtschaftlicher Betrieb, später noch Zahnarztpraxis, das Büro eines Notars und zuletzt Standort für das Heimatarchiv und die Kulturinitiative Sottrum. „Und einen Hersteller von Zahnprothesen und eine Fahrschule gab es hier auf dem Grundstück auch irgendwann“, sagt Kipp, dessen Großvater die Bäckerei geführt hatte.

Von der Wärme einer Backstube ist längst nichts mehr übrig, es ist kühl in dem Gebäude, es riecht ein wenig muffig, nach alten Möbeln und vergessenen Zimmern. Immerhin, der Strom geht noch: Als Samtgemeindebürgermeister Holger Bahrenburg den Lichtschalter drückt, wird es hell im Flur. Bereits 2012 hatte die Samtgemeinde Haus und Grundstück gekauft.

Auch, wenn Heinz Kipp und seine Geschwister nie in dem Haus gelebt haben, hat nicht nur er seine Erinnerungen: „Hier habe ich immer die Brote angereicht“, sagt seine Schwester Mariechen Bohling. Die 83-Jährige legt die Hand an einen der Türrahmen im Erdgeschoss und sieht sich in den Räumen um, in denen zuletzt ein Notar sein Büro hatte und in dem die Samtgemeinde heute Stühle einlagert – wie auch ein farbintensives Gemälde mit Wiesen, Bäumen und Wieste. „Das kommt wieder ins Rathaus“, verspricht Bahrenburg, als Heinz Kipp, Mariechen Bohling und ihr Bruder Herbert Kipp das Bild unter die Lupe nehmen. Auf der anderen Seite des Flurs führt eine Tür mit gelblicher Glasscheibe zur ehemaligen Zahnarztpraxis, ein heller Empfangstresen erinnert noch daran. „Davor war das hier noch Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg die Gaststätte“, erinnern sich die Geschwister Kipp. Für die hielt sich der Name „Salems“ – und war der „Utspann“ für die Kirchgänger aus Stuckenborstel. „Die Leute aus den umliegenden Dörfern kamen alle hierher zur Kirche, und jedes Dorf hatte hier ,seine‘ Gaststätte“, berichtet Heinz Kipp. „Und wir haben immer oben am Fenster gestanden und beobachtet, wie die Omas von ihren Pferdewagen geklettert sind“, ergänzt Mariechen Bohling.

In einem weiteren Zimmer stapeln sich fertig gepackte Kartons: das Heimatarchiv, das demnächst in das Obergeschoss des Europäischen Kultur- und Heimathaus ziehen soll. Und dann ist da die Treppe, die Richtung Keller führt. „Wer weiß, was da noch ist“, sagt Heinz Kipp und lacht.

Es geht nicht nur nach unten, sondern auch nach oben: Steile Stufen führen in die Wohnung, die zuletzt Helmut Soika mit einer Großcousine der Kipps bewohnt hatte. „Hier kann man sich verlaufen“, urteilt Heinz Kipp über die verwinkelten Räume. Teils Wohnung und teils Quartier der Kulturinitiative, in Letzterem hängen an der Wand Collagen zur Veranstaltungsreihe „Flettkultur“ von 2014, an der Pinnwand ein alter, leicht vergilbter Rundschau-Artikel von 2015 zur Reihe „Malwasanderes“ von Andreas Schultz.

„Jetzt ist der Blick auf die Kirche noch komplett verbaut“, sagt Bahrenburg beim Blick aus dem Fenster. „Aber das wird schon gut.“ Auch Heinz Kipp ist optimistisch: „Wenn alles fertig ist, gewinnt diese Ecke Sottrums.“ Auch, wenn man grundsätzlich Historisches erhalten sollte, manchmal, findet er, muss Altes auch mal weg.

Der Schlüsselbund klirrt, als Holger Bahrenburg die Eingangstür wieder abschließt. Bald werden auch die Kaffeetassen, Stühle und Plüschtiere und Archivkartons abtransportiert und die Bagger anrollen. Und dann beginnt etwas Neues.

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