Wunschbox: Witwe Nicole Monteith-Dähn träumt vom Ballonfahren - Von Dennis Bartz

Neunfache Mutter will hoch hinaus

Nicole Monteith-Dähn (Zweite von rechts) im Kreise ihrer Familie: Alle drei Väter der neun Kinder sind aufgrund von Krankheit und bei einem Motorradunfall früh verstorben.
 ©Foto: Privat

Rotenburg. Ihr Alltag ist nicht so harmonisch wie bei den Waltons, aber auch nicht so chaotisch wie bei den Flodders. Die Wahrheit liegt vermutlich irgendwo dazwischen. Auf jeden Fall gibt es eine Menge Trubel, wenn Familie Dähn Weihnachten feiert. Dieses Mal treffen sich alle bei Familienoberhaupt Nicole Monteith-Dähn in Schneverdingen. Die 50-Jährige lebt dort mit ihren fünf jüngsten Kindern in einem 13-Zimmer-Mietshaus, die vier weiteren sind längst ausgezogen und haben zum Teil bereits eigene Familien gegründet. Weihnachten kommen dann aber alle zusammen und sitzen an einer langen Tafel. Jeder bringt etwas mit, damit alle satt werden.

Dieses Weihnachtsfest soll etwas ganz Besonderes werden, hofft Tochter Fenja. Die 29-jährige Krankenschwester aus Rotenburg hat sich an die Wunschbox-Redaktion der Rotenburger Rundschau gewandt, weil sie ihrer Mutter etwas Gutes tun will. „Sie ist immer für uns da, vor allem für meine kranke Schwester, die schwer an Mukoviszidose erkrankt ist – leider kommt meine Mutter selbst dabei aber immer viel zu kurz.“

Sie hat sich deshalb etwas für sie überlegt: „Ich wünsche mir von Herzen, dass ihr großer Traum wahr wird: Seit jeher wünscht sie sich, einmal mit einem Heißluftballon zu fahren.“

Die Kinder legen selbst regelmäßig zusammen und ermöglichen Monteith-Dähn damit eine kleine Auszeit vom stressigen Alltag: „Wir spendieren ihr ab und zu einen Friseurbesuch oder mal einen Wellnesstag, oft bleiben die Gutscheine aber lange liegen, weil sie kaum freie Zeit findet – für eine teure Ballonfahrt exklusiv für sie hat das Geld aber leider noch nicht gereicht.“

Monteith-Dähn hatte eigentlich nie den Wunsch, so viele Kinder zu bekommen. „Meine erste Geburt dauerte zwölf Stunden. Florian musste mit einer Saugglocke geholt werden, danach war ich mir eigentlich sicher, dass er Einzelkind bleiben soll – drei Monate später kündigte sich aber bereits Fenja an“, sagt die neunfache Mutter und lacht, während sie mit den Schultern zuckt.

Monteith-Dähn funktioniert jeden Tag. Von morgens, wenn sie die Kinder weckt und zur Schule bringt, bis in den späten Abend, wenn irgendwann alle schlafen und sie einen der wenigen Augenblicke alleine ist. Freizeit: Fehlanzeige.

Denn die wenige Zeit, die ihr neben Kinderbetreuung und Haushalt bleibt, versorgt sie ihre 100 Hühner. „Ich lege sehr großen Wert auf artgerechte Haltung und gutes Futter – ich verkaufe Hühnerfleisch und Eier, aber damit mache ich keinen Gewinn. Mir machen die Zucht und Pflege der Tiere viel Spaß. Darunter sind altbelgische Mechelner, eine seltene Rasse. Die Tiere sind mein seelischer Ausgleich.“

Die 50-Jährige strotzt jeden Tag vor Energie und Tatendrang – sie lässt sich nicht anmerken, dass sie noch nicht einmal Zeit dafür gefunden hat, die Schicksalsschläge in ihrem Leben zu verarbeiten, erzählt Tochter Fenja, die selbst Mutter eines kleinen Sohnes (Leon, ein Jahr) ist. Sie sagt: „Ich kenne keinen Menschen, der so viel erlebt hat und trotzdem jeden Tag immer wieder aufsteht, um zu kämpfen und für die Familie da zu sein, wie meine Mutter.“

Monteith-Dähn hat in ihrem Leben drei Partner auf tragische Art und Weise verloren. Ihr zu diesem Zeitpunkt bereits geschiedener Ehemann Wolfgang, mit dem sie fünf Kinder hat – Felix (20 Jahre), Ferris (25), Fabian (28), Fenja (29) und Florian (30) – verstarb 2012 an den Folgen eines Norovirus. „Unsere Ehe nahm leider kein schönes Ende – er hat mich von heute auf morgen verlassen. Ich habe später herausgefunden, dass er 17 Jahre lang ein Doppelleben geführt hatte und mit einer anderen Frau eine Tochter hat.“

Bis dahin hatte sie geglaubt, eine glückliche Ehe zu führen: „Ich habe sogar seine Eltern bis zu ihrem Tod gepflegt. Als Marine-Offizier verdiente er sehr gut. Finanziell hatten wir keine Sorgen – dann habe ich alles verloren und musste Hilfe beim Amt beantragen. Das fiel mir sehr schwer. Ein ortsansässiger Bäcker hat uns Brot vom Vortag geschenkt, damit wir überhaupt etwas zu Essen hatten. Es war kurz vor Weihnachten und ich hatte keine Geschenke für die Kinder. Ich habe mir damals vorgenommen, nie wieder zu heiraten, weil ich so enttäuscht war. Ich habe meine Familie lange mit einem Job als Zimmermädchen über Wasser gehalten.“

Es dauerte, bis Monteith-Dähn wieder Vertrauen zu einem Mann aufbauen konnte – mit Matthias bekam sie ein weiteres Kind, die heute 14-jährige Milena. Zuvor versuchten sie fünf Jahre lang, Eltern zu werden.

Dass es schlussendlich klappte, davon erfuhr der Vater jedoch nie etwas: Er kam 2004 bei einem Motorradunfall ums Leben. „Ich hatte ihn sonst immer auf dem Sozius begleitet – dieses eine Mal hatte ich keine Zeit. Er ist mit 180 Kilometern pro Stunde auf einen Trecker aufgefahren. Weil er keine Angehörigen hatte, musste ich ihn identifizieren“, erinnert sich Monteith-Dähn, die am Tag nach der Beerdigung erfuhr, dass sie schwanger ist.

Tochter Milena lernte ihren Vater deshalb niemals kennen. Die Schülerin kämpft mit den Folgen ihrer Erbkrankheit: einer schweren Mukoviszidose. Ihre ersten beiden Lebensjahre verbrachte sie fast ausschließlich im Krankenhaus. Sie musste bis heute 13 Operationen über sich ergehen lassen.

Vier Tage nach der Geburt wurde bei ihr ein Darmverschluss festgestellt. Aufgrund von Komplikationen bei einem Eingriff musste sie für mehrere Wochen ins künstliche Koma gelegt werden. „Es stand sehr schlecht um sie. Meine Tochter Fenja hat mich in dieser Zeit voll unterstützt – mit damals gerade einmal 15 Jahren hat sie Zuhause alles gemanagt.“ – „Ich musste früh Verantwortung übernehmen“, erinnert sich die 29-Jährige.

Milena kann nur über den Darm ernährt werden und trägt dafür eine Sonde. Die Symptome ihrer Mukoviszidose schreiten immer weiter voran: „Ihre Lungenfunktion liegt aktuell nur noch bei 43 Prozent – von Monat zu Monat nimmt die Leistung ab. Alle drei Monate muss sie für zwei Wochen ins Krankenhaus nach Lübeck, wo sie mit Antibiotika vollgepumpt wird. Ihr Gehör wird immer schlechter, oft führt die Erkrankung irgendwann zur Erblindung“, zählt die besorgte Mutter auf.

„Die Lebenserwartung von Mukoviszidose-Patienten liegt bei etwa 30 bis 35 Jahren, sagt man – aber bei meiner Schwester ist die Situation schlimmer. Sie hat eine schwere Form mit Organschäden – Magen, Darm, Leber und Lunge“, so Krankenschwester Fenja Dähn. Ihre Schwester soll eine Spenderlunge erhalten – deren seltene Blutgruppe macht es jedoch schwer, ein passendes Organ zu finden.

Nach dem tragischen Unfalltod ihres zweiten Partners blieb Monteith-Dähn erneut eine Weile alleine. Dann lernte sie Gunter im Internet kennen. „Er hat meine Kinder wie seine eigenen aufgenommen. Das ist schon bewundernswert, schließlich war ich damals schon sechsfache Mutter und Milena war schwerstbehindert. Mit ihm bekam ich dann noch drei weitere Kinder: Nabea, heute neun Jahre alt, Noel, zehn, und Niklas, der in dieser Woche zwölf geworden ist.“

Doch das große Familienglück währte wieder nicht lange: Am 31. Juli 2016 verstarb Gunter an den Folgen einer simplen Wurzelbehandlung. Daraus entwickelte sich eine Blutvergiftung, er musste notoperiert werden und seine Organe versagten. Monteith-Dähn: „Nach einer Woche verstarb er – ausgerechnet am Geburtstag meines Sohnes Ferris. Die Kinder waren zu diesem Zeitpunkt im Zeltlager in Scharbeutz – er hat sie noch zur Bushaltestelle gebracht und konnte sie nicht mehr abholen. Gunter war mein Fels in der Brandung und hat mir immer den Rücken freigehalten.“ Nun möchte sie alleine bleiben.

Der Traum vom Ballonfahren begleitet sie schon lange: „Dort oben sind all die Probleme ganz klein – und das allerbeste ist: Es ist einmal ganz ruhig und der ganze Alltagsstress fällt von mir ab.“ Tochter Fenja hofft, dass sich bei der Rundschau ein Leser meldet, der ihrer Mutter den Traum vom Ballonfahren erfüllen kann. Wer einen Tipp hat oder die Aktion unterstützen möchte, meldet sich per E-Mail an wunschbox@rotenburger-rundschau.de.

Das bevorstehende Abenteuer über den Wolken wird dann bestimmt großes Thema beim Weihnachtsessen sein. Am Heiligen Abend kommen der F-Wurf – Florian, Fenja, Ferris und Felix – der M-Wurf (Melina) und der N-Wurf – Nabea, Noel und Niklas – zusammen. „So nennen wir uns spaßeshalber – aber eigentlich sind wir eine große Familie und wir sind alle Geschwister“, so Fenja, die es genießt, Teil einer Großfamilie zu sein. „Es ist zwar laut und anstrengend, aber es macht auch ganz viel Spaß. Nach ein paar Stunden bin ich aber auch froh, wenn ich wieder Zuhause bin.“ Nach kurzer Zeit greift sie aber trotzdem zum Telefon: „Meine Mutter und ich telefonieren jeden Tag.“

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