Rotenburger Claus Richter bringt vor 25 Jahren als Mapa-Chef „Billy Boy“ auf den Markt - Von Dennis Bartz

Der Kondompapst und sein „Dingsbums“

Claus Richter im Gespräch mit Beate Uhse.
 ©Rotenburger Rundschau

Rotenburg. Die Medien kürten ihn zum „Kondompapst“. Denn Claus Richter, bis 1997 Chef von Kondom-Hersteller Mapa, ist soetwas wie der Erfinder von „Billy Boy“. Das war 1990, vor exakt 25Jahren. Der gebürtige Hamburger, der seit 35 Jahren in Rotenburg wohnt, rückte bereits in den 1980er-Jahren erstmals in den Fokus der Öffentlichkeit: Stern, Bunte und zahlreiche weitere Magazine rissen sich um ein Interview mit dem Mapa-Chef, nachdem Aids als tödliche und sexuell übertragbare Krankheit bekannt geworden war. Innerhalb eines Jahres hatte sich des Umsatz des französischen Konzerns, das 1968 die beiden Marken Blausiegel und Fromms übernommen hat, verdoppelt.

Das Kondom war in den Jahren zuvor noch ein Problemkind des Marktes gewesen, erinnert sich Richter: „Die Syphilis war längst besiegt und die Pille bei den Deutschen zum Verhütungsmittel Nummer eins avanciert. Der Absatz von Kondomen war rückläufig. Alle Hersteller litten darunter.“

Von heute auf morgen änderte sich dann aber wegen Aids alles: Der „Stern“ titelte: „Die Konjunktur des Kondoms – das gewisse Dingsbums“ und veröffentlichte in derselben Ausgabe ein Interview mit Richter. Die Pille reichte den Deutschen plötzlich nicht mehr, weil sie zwar Schwangerschafts-Verhütung bot, den Schutz vor Aids aber nicht leisten konnte. „Das war schon eine verrückte Zeit“, erinnert sich Richter. Kondome an den Mann zu bringen, war plötzlich ein Selbstläufer.

So einfach war sein Job aber nicht immer: Insgesamt 37Jahre handelte der heute 82-Jährige mit Kondomen. Er hat in seiner Karriere viele Spuren hinterlassen: 1971 gründete er die „Deutsche Latex Forschungsgemeinschaft Kondome“. Die Mitglieder (neben Mapa unter anderem Ritex und Durex) bilden heute 85 Prozent des deutschen Kondommarktes ab. Verantwortlich bis heute: Claus Richter.

Außerdem hatte er die Idee für das Kondom HT von Blausiegel, das bis heute ein Verkaufsschlager ist. Der Erfinder erklärt selbst, was das Besondere daran ist: „Die Kondome sind dickwandiger und deswegen robuster. Ich habe es speziell für Homosexuelle entwickelt – aber auch viele Prostituierte schwören darauf, weil es nicht so leicht reißt.“

1950 machte Richter eine dreijährige Ausbildung zum Drogeristen in Hamburg und eröffnete 1957 die „Drogerie Richter“. Drei Jahre später startete er seine Karriere bei Blausiegel in Hannover und übernahm als Kondom-Vertreter den Verkauf in Hamburg und Teilen Schleswig-Holsteins. Nebenbei stellte er die ersten Kondomautomaten in Gaststätten auf und betrieb von Zuhause aus einen Versandhandel für Erotikprodukte. „Ich habe damit nicht das große Geld gemacht, aber mir pro Jahr immer etwa 10.000 Mark dazu verdient“, erinnert sich Richter an diese aufregende Zeit. Zu seinen Kunden gehörte unter anderem das Eros-Center in Hamburg.

1967 stieg er zum Produktmanager bei Blausiegel auf. Die Marken Fromms und Blausiegel, die es noch heute gibt, wurden damals von dem französischen Konzern „Mapa“ übernommen, der Sitz einige Zeit später von Hannover nach Zeven verlegt. Seine schwierigste Aufgabe: Wie bewirbt man etwas, das man in der Werbung nicht zeigen darf? „Für Kondome zu werben war im prüden Deutschland damals noch verboten“, erinnert sich Richter. Der Verkaufsprofi musste viele Tricks anwenden und manch kreative Lösung finden. Vor dem selben Problem standen alle Drogisten, die Kondome führten. Die Lösung: Statt für Kondome warben sie im Schaufenster für „Fromms Gummischwämme“. „Jeder wusste dann, dass das Geschäft Kondome führte“,erklärt Richter und lacht.

Um die Scham der Menschen beim Kauf zu nehmen wurden Kondome sogar einige Jahre in unauffällige Tarnpackungen versteckt. In den 1940er-Jahren gaben die Hersteller vorgefertigte Bestellzettel heraus, die von den Käufern am Tresen nur noch abgegeben werden mussten. Darauf stand beispielsweise etwas wie: „Bitte händigen Sie mir diskret aus: drei Stück Fromms-Gummi“.

Um den Menschen die Scham zu nehmen, kam 1990 der wohl bekannteste Anti-Aids-Werbespot ins Fernsehen: Darin spielte Hella von Sinnen eine Verkäuferin in der Drogerie und schrie die bekannte Frage: „Tina, wat kosten die Kondome?“

Es war das selbe Jahr, in dem Richters „Billy Boy“ die Regale in den deutschen Drogeriemärkten eroberte. Den raketenhaften Erfolg erklärt sein Erfinder so: „Wir haben eine freche Marke geschaffen. Zum ersten Mal gab es Kondome in verschiedenen Farben und Geschmacksrichtungen.“ Einen ähnlichen Erfolg feierte damals das „Black Jack“-Kondom in Schweden, das laut Richter ein ähnliches Konzept verfolgte.

Kein neues Kondom kam bis zu Richters Ruhestand 1997 auf den Markt, das nicht von dem damaligen Mapa-Chef im Labor geprüft und für gut befunden wurde. Wenngleich Richter gesteht, dass er nie ein großer Fan der aromatisierten Kondome war: „Es ist wirklich schwer ein Kondom zu entwickeln, dass gut schmeckt.“

Als der Kondommarkt endlich wieder riesige Gewinne einfuhr, wollten viele Entwickler auf den Zug aufspringen. Und so standen in dieser Zeit häufig Vertreter mit außergewöhnlichen Ideen in Richters Büro: Dabei ging es fast immer darum, die Anwendung zu erleichtern. „Es besteht ja immer ein gewisser Handlungsbedarf“, so Richter. Keine einzige Idee schaffte es bis zur Marktreife: „Sie waren zu teuer und oft sogar gesundheitsgefährdend“, erinnert sich der Kondompapst. Seine Aufgabe war es nicht nur, neue Produkte zu entwerfen und den Verkauf anzukurbeln: Er schulte regelmäßig die 60 Außendienstler von Mapa und führte Verhandlungen mit den wichtigsten Köpfen der Branche, zum Beispiel den Firmenchefs von Schlecker, DM, Metro, Edeka und Beate Uhse. Ein gemeinsames Bild mit der inzwischen verstorbenen Sexshop-Gründerin erinnert an diese Zeit.

1997 war Schluss. In den Ruhestand ging Richter aber nicht. Er führte sieben Jahre lang den Tennis-Club Rotenburg und gründete die Inititative „Schuelerfirmen.com“ zur Förderung und Betreuung von Schülerfirmen. 25 Projekte betreut er zur Zeit. Richter gibt regelmäßig einen Newsletter für die Schüler heraus und arbeitet an einem E-Book mit Tipps für Verkäufer. Seit sieben Jahren betreut er als Tutor das Planspiel M.I.G. des Bildungswerks der Niedersächsischen Wirtschaft, an dem das Ratsgymnasium und die Berufsbildenden Schulen teilnehmen. Außerdem ist er Mitglied im Rotenburger Wirtschafts-Senioren-Netzwerk.

Erfahrene Unternehmer wie Claus Richter beraten dort Firmengründer: „Wir helfen ihnen, Fehler zu vermeiden.“ Er selbst habe seine Entscheidung, mit Kondomen zu handeln, übrigens nie bereut. Richter: „Das hat mir im Leben viele Türen geöffnet.“ Und dazu hat es ihm den Titel „Kondompapst“ eingebracht. Auf den hätte er sonst natürlich verzichten müssen. Und der Rest der Welt vermutlich auf „Billy Boy“.

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