Zum Auftakt der Rundschau-Serie „Mein Tag als ...“ versucht sich Redaktionsleiter Dennis Bartz (links) als Live-Erschrecker im Heide-Park.

Der Zombie in mir

45 Minuten dauerte die Verwandlung zum Zombie.
 ©Rotenburger Rundschau

Soltau. Ich bin kein Kinderschreck. Ganz im Gegenteil: Mittelgroß, blond und blauäugig wie ich bin trage ich die Worte „netter Kerl“ in Großbuchstaben auf der Stirn. Und das gefällt mir. Umso größer ist aber die Herausforderung, der ich mich zum Auftakt der neuen Rundschau-Serie „Mein Tag als ...“ stelle. Mein Job: Ich soll als Live-Erschrecker für Angst und Schrecken bei den Besuchern im Heide-Park sorgen.

Zum Glück bin ich dabei nicht alleine. An meiner Seite ist die professionellste und deutschlandweit größte unabhängige Erschreckergruppe: die Boo-Crew aus Hamburg. Was die 120 Akteure drauf haben, beweisen sie seit 2004 unter anderem bei den Halloween-Nächten im Heide-Park. Sie waren außerdem für ein Gastspiel im Hamburger Dungeon, standen für den TV-Sender Tele 5 vor der Kamera und haben den Fall von Jack the Ripper auf Schloss Marienburg nachgespielt.

Wer ein Teil des Horror-Ensembles werden will, muss sich zunächst in einem Casting beweisen. Ich dagegen bin blutiger Anfänger und habe mir meinen Platz als „Gastboo“ erschlichen: Als ich mich am späten Vormittag beim Pförtner des Heide-Parks anmelde, herrscht bereits reges Treiben in der Erschrecker-Zentrale.

Ich komme in einen großen Saal, in dessen Mitte ein hell erleuchteter Schminkbereich ist. Dort verwandeln erfahrene Maskenbildner normale Menschen wie mich in Zombies, verrückte Professoren und Psychopathen. Sie kleben verblüffend echt erscheinende Wunden auf unversehrte Haut, spritzen mit Blut herum und lassen mit professioneller Theaterschminke die Haut der Darsteller blass und faltig wirken. Bis zu einer Dreiviertelstunde dauert die Verwandlung.

Alles ist minutengenau getaktet: 60 Darsteller sind mit mir an diesem Tag im Einsatz – da muss jeder Griff zur Puderquaste perfekt sitzen, damit alle pünktlich fertig sind. In fünf Stunden geht’s los und ich spüre: Alle sind hochkonzentriert, denn die Zeit rennt.

Ich treffe den Gründer der Boo-Crew, Jan Stöhlmacher. Er erklärt mir, was mich in den Abendstunden erwartet. Seine Darsteller betreiben vier Halloween-Attraktionen an den drei letzten Wochenenden im Oktober: Inferno – ein verwunschenes Kloster, den Turm der Dunkelheit, die Irrenanstalt Asylum und Sektor 23 – mein späterer Spielort: ein verrückter Wissenschaftler hat dort Experimente an Menschen durchgeführt – seitdem treiben in dem abgesperrten Bezirk Zombies ihr Unwesen. Einer von ihnen soll ich sein. Na dann. Unter 16 Jahren ist der Zutritt untersagt – und das ist gut so.

Denn die Attraktionen sind wirklich nichts für schwache Nerven: Im Asylum laufe ich an Zellen mit blutverschmierten Wänden vorbei, ich sehe Foltergeräte, den künstlichen Torso eines Menschen und einen alten Zahnarztstuhl, der perfekt in Szene gesetzt ist. Bereits bei Tageslicht erzeugt die Kulisse ein beklemmendes Gefühl in mir.

Später müssen die Besucher dort im Dunkeln durch und werden bei Stroboskoplicht und unter gruseligen Sound-Effekten von Psychopathen gejagt. Für einige ist das zu viel des Guten: Seit es die sogenannte „Scare Zone“ – „Scare“ ist englisch und bedeutet Schrecken – gibt, müssen Mitglieder der Boo-Crew immer wieder verängstigte Besucher hinausführen. „Wir gehen so stark wie möglich an die Grenze des Erträglichen – einige Besucher überschätzen sich aber“, erklärt mir Stöhlmacher.

14.45 Uhr: Mein Termin zur Kostümprobe steht an. Jessica Bolgar und Sarina Wilhelm nehmen mich dafür unter ihre Fittiche. Aus mehr als 1.000 Kostümteilen und Requisiten suchen sie etwas heraus, das zu meiner Rolle passt. Schäbig und schmuddelig – der Zombie-Klassiker soll es sein. Sie reichen mir eine schwarze Cordhose, schwarze Schuhe, ein Jackett und ein abgewetztes Karohemd.

Danach geht es in die Maske. Dort wird mir Schicht für Schicht der Zombie-Look verpasst: fahle Gesichtshaut, ein blutverschmierter Mund, dunkle Augenringe, eine Platzwunde am Kopf und dazu – ob ich will oder nicht – vergammelte Zähne.

Eine Dreiviertel-Stunde später erkenne ich mich im Spiegel selbst kaum wieder. Wer Erschrecker werden will, darf nicht eitel und zimperlich sein: Mut zur Hässlichkeit ist dagegen oberstes Gebot.

Während ich auf meinen Einsatz warte, komme ich mit anderen Darstellern ins Gespräch. Ich erfahre, dass auffällig viele Darsteller in sozialen Berufen arbeiten und mit ihrem „Nebenjob“ als Erschrecker keinen Cent verdienen. Aber warum machen sie es dann?

„Wir haben viel Spaß dabei, andere zu erschrecken und sind hier wie eine große Familie“, erklärt mir der 18-jährige Nico Bohm, der eine Ausbildung zum Krankenpfleger in Bad Bevensen macht. Er ist erst wenige Monate vor mir zu den Boos gestoßen und so etwas wie das Küken. Denn wer ein Boo werden will, muss volljährig sein – der älteste aktive Boo ist derzeit 54 Jahre alt. Der Anteil an Frauen und Männern hält sich in etwa die Waage.

Das bestätigt mir Angie Komalla aus Osnabrück, die ebenfalls als Krankenpflegerin arbeitet. Heute wechselt sie die Seiten: „Gestern war ich ein Zombie, heute spiele ich ein Opfer im Asylum“, erzählt die 20-Jährige, die dafür schlimm zugerichtet wurde. Genauso wie die Bremerin Lisa Kieserling: eine klaffende Wunde auf der Stirn zerreißt ihr hübsches Gesicht, weiße Kontaktlinsen lassen ihren Blick leer erscheinen und Kunstblut tropft aus ihren Haaren und läuft über ihre Lippen: „Heute schmeckt es irgendwie fruchtig“, stellt sie belustigt fest.

Warum ist sie dabei, will ich wissen. „Mir macht es riesigen Spaß, in eine andere Rolle zu schlüpfen. Ich kann mich dann voll auspowern – andere gehen dafür in die Disco, ich mache das hier“, erklärt die Einzelhandelskauffrau.

In einem Crashkurs erklären mir die drei das ein mal eins des Erschreckens. Oberste Regel: Niemals die Rolle verlassen. Der Erste in einer Gruppe sei oft der Mutigste, die Schreckhaften verstecken sich dagegen in der Mitte: Da sind die Erfolgsaussichten deshalb am größten. Männer zu erschrecken mache besonders viel Spaß – dies sei aber nur etwas für Fortgeschrittene. „Die spielen gerne den Helden, zucken nur kurz und lassen sich dann nichts anmerken“, erfahre ich. Dankbares Ziel: „Frauen, besonders die blonden“, sind sich die Darsteller einig.

Es gibt weitere wichtige Regeln für meine Rolle: keine Besucher anfassen, nicht mit ihnen sprechen – schreien, röcheln und andere morbide Laute sind dagegen erwünscht – und auf alles gefasst sein: Es gibt Gäste, die vor Schreck schlagen, treten oder schubsen. So auch an diesem Tag: Wie ich später erfahre, wird ein Darsteller mit einer Bierflasche attackiert und muss verletzt abbrechen.

Zum Glück weiß ich davon noch nichts, als sich die Sektor 23-Darsteller sammeln. Eine besonders gruselige Zombibraut greift noch schnell zum Deo. Sie trägt Vanilleduft auf und merkt, dass ich sie beobachte. Ertappt erklärt sie: „Wenn ich schon so aussehe, möchte ich wenigstens gut riechen.“

Teamleiter Lennart Sieben gibt uns letzte Anweisungen: „Wenn wir durch den Park laufen, gehen wir alle in unsere Rollen. Aber Vorsicht vor Familien mit kleinen Kindern – die sollen keine Angst bekommen.“

Dann geht es los: Gemeinsam laufen wir quer durch den Park. Die Besucher starren uns an und machen begeistert Fotos. Was mir zuerst unangenehm ist, weil ich es nicht gewohnt bin, solche Blicke zu ertragen, gefällt es mir kurz darauf sogar und wir erreichen viel zu schnell Sektor 23.

Als ich meinen zugewiesenen Platz auf der Zombie-Wiese einnehme, wächst die Anspannung in mir. Es wird dunkel, die Nebelmaschine brummt monoton neben mir und bläst mir feuchtkalte Schwaden ins Gesicht. Trommeln, Sirenen und andere Soundeffekte erzeugen einen ohrenbetäubenden Lärm. Ich verstecke mich neben einer rostigen Tonne, dann erhalte ich ein Zeichen: Es geht los und mein Herz rast. „Ich stelle mich denkbar schlecht für einen Untoten an“, denke ich.

Durch den dichten Nebel erkenne ich schemenhaft die ersten Besucher und schon stürzen sich die ersten Boos auf sie. Und ich? Ich überwinde mich und trete zum ersten Mal aus meinem Versteck.

Noch etwas zögerlich schlurfe ich auf die Besucher zu und traue mich nicht, auch nur einen Mucks von mir zu geben. Die anderen Zombies zeigen mir eindrucksvoll, wie es richtig geht. Etwas enttäuscht stapfe ich nach der ersten Runde zurück in mein Versteck.

Bereits nach wenigen Minuten werde ich mutiger und habe kurz darauf sogar meinen ersten Erfolgsmoment: Eine Gruppe angeheiterter Frauen schreit und klammert sich ängstlich aneinander, als ich mich auf sie stürze. Dann folgt: Erschrecken im 30-Sekunden-Takt. So lange dauert es, bis die Gruppen wechseln.

Nach einer halben Stunde habe ich alle Hemmungen abgelegt und ich mache meine Sache offenbar so gut, dass ich irgendwann „befördert“ werde: Ich bekomme meinen Einzelauftritt in einem Holzkäfig.

Ein verrückter Wissenschaftler führt die Besucher herein und stellt mich als eines seiner missglückten Experimente vor. Die Rolle macht mir Spaß: Ich reiße am Gitter, ich gröle, ich strecke meine Arme nach ihnen aus und stürze mich kurz darauf auf sie, als auf Knopfdruck das Licht für einen kurzen Moment erlischt und ich Zeit habe, um aus dem Käfig zu flüchten.

Der Job als Erschrecker macht riesigen Spaß, aber zerrt auch an den Kräften. Besonders meine Stimmbänder leiden unter dem ständigen Schreien und Röcheln. Allen Darstellern geht es so. Der Verbrauch an Emser Pastillen ist deshalb enorm. Wie es die Darsteller der Boo-Crew schaffen, das an zwei oder sogar drei aufeinander folgenden Tagen zu leisten, und das bis zu fünf Stunden am Stück, ist mir schleierhaft.

Nach zweieinhalb Stunden geht bei mir bereits nichts mehr. Das Adrenalin gleicht die aufkommende Müdigkeit nicht mehr aus und viel mehr als ein Krächzen kann ich meinem Rachen selbst unter größter Anstrengung nicht entlocken.

Trotzdem bin ich noch immer total in meiner Rolle, als mich Gründer Stöhlmacher aus Sektor 23 abholt, um mich durch den Park hindurch zurück in die Erschreckerzentrale zu begleiten.

Noch immer wie in einem Tunnel drohe ich dem ersten Besucher, der uns entgegen kommt. Es ist mir unangenehm, als ich feststelle, dass der Junge vor mir kaum älter als zehn Jahre ist. Zum Glück rettet mein Begleiter souverän die Situation und beruhigt den Jungen, der wie erstarrt stehengeblieben ist: „Keine Sorge“, sagt er, „ich halte ihn gut fest.“

Siehe da. Ich bin doch ein Kinderschreck.

3 x 2 Tickets für den Heide-Park gewinnen

In der neuen Rundschau-Serie „Mein Tag als ...“ testet die Redaktion außergewöhnliche Jobs. Wir nehmen aber auch Berufe unter die Lupe, die jeder zu kennen glaubt, und finden heraus, welche Vorurteile stimmen – und welche nicht.
Zum Auftakt verlosen wir dreimal zwei Tickets für den Heide-Park. Mehr als 50 Attraktionen und Shows, darunter Europas schnellste und höchste Holzachterbahn Colossos sowie Deutschlands einziger Wing Coaster Flug der Dämonen, bieten außergewöhnliche Abenteuer für die ganze Familie. Mitmachen ist ganz einfach: Schickt uns bis Sonntag, 12. November, per E-Mail an redaktion@rotenburger-rundschau.de ein Foto von Euch im Kostüm mit Namen und dem Betreff „Halloween“. Die Redaktion prämiert die drei gruseligsten Bilder. Wichtig: Die Einsender und die auf den Bildern abgebildeten Personen erklären sich mit der Veröffentlichung in der Printausgabe, auf der Internetseite sowie auf der Facebookseite der Rundschau bereit. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.

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